Abrechnung Teil 2

Nachdem ich in meinem letzten Blogbeitrag etwas allgemein unsere Erlebnisse geschildert habe, so will ich mich jetzt mal langsam an die spannenderen Themen heranwagen.

Doch bevor ich loslege noch eine Bemerkung: Wie Ihr sicherlich gemerkt habt, unterlaufen mir immer wieder mal ein paar Rechtschreibfehler und eventuell ist mancher Satz stilistisch wert, zweimal gelesen zu werden (damit man ihn versteht).  Wenn man eine Weile nicht mehr in Deutschland lebt und hauptsächlich in anderen Sprachen kommuniziert und schreibt, so verändern sich manchmal etwas die Ausdrucksweisen, die Satzzeichen, Groß- und Kleinschreibung uswIch bitte Nachsicht walten zu lassen…

 

„Die Hölle für Patienten, das Paradis für Ärzte“

Beginnen wir mit dem Gesundheitswesen. Als ich das erste Mal hörte, dass Schweden ein schlecht(er)es Gesundheitssystem hat, wollte ich es gar nicht recht glauben. Ein reiches skandinavisches Land mit nur wenigen Einwohnern (9 Mio) mit einer schlechten Versorgung? Als nächstes hörte ich Aussagen, wie „Schweden – die Hölle für Patienten, das Paradis für Ärzte“. Aha, na mir als Arzt gefällt der zweite Teil des Satzes ganz gut, auch wenn mir die Patienten leid tun. Aber, so ganz stimmt das alles nicht, leider und auch zum Glück. Es gibt sicherlich schlimmere Orte für Patienten, aber auch bessere für Ärzte. Während in den vergangenen 10-15 Jahren die skandinavischen Länder offensiv rekrutiert haben, so sind heutzutage Angebote med bezahltem Sprachkurs, Hilfe bei Unterkunft, Umzugskostenübernahme, Kindertagesstätte usw, selten geworden. Einzig das Land Dalarna bietet noch solche Angebote, sofern ich weiss. In den letzten Jahren hat sich der Markt etwas gesättigt, auch wenn es nach wie  vor noch Bedarf, vor allem für Fachärzte aller Art, besonders Allgemeinmediziner gibt. Das ist die Folge eines, wie ich es nenne, „akademischen Migrantenstadels“, einer Bewegung von Wirtschaftsflüchtlingen in weiss. Während die Ost- und Südosteuropäer nach Deutschland strömen und in manchen Krankenhäusern deutschsprachige Ärzte Mangelware sind, strömen wir nach Norden, z.B. nach Schweden. Die schwedischen Ärzte (und Krankenschwestern) hecheln dem richtig großen Geld im Nachbarland Norwegen hinterher, das nach wie vor extrem gut bezahlt. Es gibt Krankenschwestern, die für 2 Wochen in Norwegen arbeiten und fast genauso viel auf das Konto überwiesen bekommen, wie für 4 Wochen in Schweden! Und das „Beste“: die Norweger wissen den „Fleiß“ der Schweden zu schätzen, sagte man mir… In unserem Sprachkurs löste das ein großes Gelächter aus…

Während das Nachbarland eigentlich nur fertige, erfahrene Fachärzte nimmt, kann man in Schweden eine Stelle als ST-läkare (specialist-tjänstegöring = in Ausbildung zum Spezialisten = Facharzt, läkare = Arzt) ergattern, was allerdings in den meisten Bereichen nicht einfach ist. Allein in der Allgemeinmedizin bekommt man die Stellen hinterher geworfen, von Skåne im Süden bis Kiruna im hohen Norden.

Wie dieser Marktplatz, so liegt vieles in Schweden scheinbar im Dunkeln und im Nebel

Wie dieser Marktplatz in Falun, so liegt vieles in Schweden scheinbar im Dunkeln und im Nebel

Das schwedische System wurde inzwischen dahingehend verändert, dass heutzutage eine Weiterbildung fest an eine ST-Stelle gebunden ist. Während man in Deutschland ja nur noch z.B. 2-Jahresverträge bekommt und dann ggf. das Krankenhaus wechseln muss, ist man mit seiner ST-Stelle an den Arbeitgeber (fast immer staatlich) gebunden und durchläuft hier die gesamte Ausbildung. Das funktioniert solange hervorragend, solange man zufrieden ist. Möchte oder muss man den Ort wechseln, so beginnt (wieder) der harte Kampf um eine ST-Stelle. Oder man begnügt sich mit einer „Vikariat“-Stelle. Früher lief das meistens so ab, und die angehenden Fachärzte suchten sich mit meheren Vikariat-Stellen ihre Facharztausbildung zusammen. Heutzutage ist also der Wechsel schwieriger, zumal eine Vikariat-Stelle meistens auf ein halbes oder ganzes Jahr begrenzt ist.

 

Nie wieder Nutella

Am Anfang fand ich es lustig: die schwedischen Ärzte haben 5-7 Patienten am Tag und fühlen sich geschlaucht. LoL!  In Deutschland hat man mitunter das 10-fache! Muss doch ganz entspannt sein, oder? Und warum will keiner Allgemeinmedizin machen? Warum mach ich das? Wer gerne mit Menschen zu tun hat, nicht besonders prestigeorientiert ist, sich gerne um seine Patienten kümmert und kein Alleswisser über ein mikroskopisch kleines Gebiet werden möchte, der wird Allgemeinmediziner. Hausarzt. Also einer, der über alles nix weiß, während die anderen alles über nix wissen. Soviel zu den bekannten Vorurteilen. In Schweden macht der Allgemeinmediziner weitaus mehr als in Deutschland: Hautbiopsien, Hautexzisonen, Lipomentfernung, Augenuntersuchung inkl. Augendruck und Augenhintergrund, HNO-Grunduntersuchungen, manchmal auch gynäkologische Untersuchungen (was beim Altersdurchschnitt der lokalen Bevölkerung kein Zuckerschlecken ist – Mann, das war lustig ausgedrückt) und auch schmackhafte Rektoskopien. Übrigens: Seitdem letztens ein Patient vergessen hatte sich den Darm mit dem Klistier zu säubern, esse ich kein Nutella mehr. Nur soviel dazu.

 

„Um krank sein zu dürfen, muss man gesund sein“

Hab ich was vergessen? Ach ja, Internist, Neurologe und Psychater darf ich auch spielen, wie auch Gutachter und ein paar andere Sachen auch noch. Man darf, dachte ich immer. Besser trifft es aber: man muss.

Diese breit aufgestellte Fachdisziplin ist weit mehr als die Summe der einzelnen Dinge, und das war es auch was mich reizte. In Wirklichkeit entsteht hier in Schweden diese große Vielfalt an Tätigkeiten durch einen eklatanten Mangel und Fehlinterpretation von Prioritäten und Kompetenzen. Schweden, das Land mit der höchsten Spezialistendichte (auf Einwohner halt bezogen) schafft es nicht eine gut funktionierende Versorgung auf die Beine zu stellen!

Doch schauen wir erst einmal, wie es einem Patienten ergeht: Um einen Arzttermin zu bekommen, muss man erst einmal bei der Vårdcentral anrufen. Dort meldet sich dann (nur auf Schwedisch 😉 ) ein Anrufbeantworter, auf dem man seine Personnummer hinterlassen muss (wenn man sie denn hat 😉 ). Man wird dann von einer Krankenschwester um eine bestimmte Uhrzeit zurückgerufen, die dann einschätzt, ob man einen Arzttermin braucht, oder ob es mit ein paar guten Worten und Hausmittelchen vielleicht reicht. Da es zu wenig Ärzte gibt und entsprechend die Termine knapp sind, stellen die Patienten in der Regel ihre Beschwerden schlimmer dar, als sie wirklich sind. So bekommen sie hoffentlich einen Termin, vielleicht schon in 3-4 Wochen. Geht man selbst zur Rezeption in der Vårdcentralso kann es sein, dass die Dame hinter dem Schalter schon überfordert ist.

Als ich mit meiner Sprachkurskollegin mal zu Vårdcentral hier in Falun gegangen bin, um einen Termin zu vereinbaren, so bekam der junge Mann schon bei unserem bloßen Anblick Schnappatmung. In holprigen Englisch wies er uns immer wieder darauf hin, dass wir anrufen müssten. Wir hingegen versuchten zu erklären, dass wir nix verstehen und dass wir noch keine Personnummer hätten. Naja, das löste sich dann irgendwann.

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Symbole mit wenig Raum für Interpretation

Die Patienten warten also in der Regel wochenlang auf einen Termin  beim Allgemeinarzt, während man das ja in Deutschland eher von Spezialisten gewohnt ist.

Wenn die Patienten dann erst einmal beim Arzt sind, so nutzen sie natürlich die Chance und tragen mehere Anliegen vor. Immerhin weiß man ja nicht, wann man das nächste Mal einen Termin bekommt.

In der Allgemeinmedizin gestaltet sich die Gesprächsführung schwieriger als in anderen Fächern, weil man ja der ist, der für alles da ist. Spezialisten haben oftmals einen konkreten Auftrag mit meistens präzisen Symptombeschreibungen („das Knie, Herr Doktor“). Als allgemeinmedizinisch arbeitender Arzt hat man es meistens jedoch mit vagen Beschreibungen wie Müdigkeit, „mir tut alles weh“ oder gar „ich fühl mich so komisch“ zu tun. Man muss sich da so durchwurschteln, bis man in etwa an den Kern des Problems gelangt ist. Hat der Patient denn wirklich etwas oder ist es in Wirklichkeit nur die erdrückende Einsamkeit? Vor allem die Fragen „Hat der Patient eine gefährliche Erkrankung oder nicht?“ und: „Habe ich für die weitere Detektivarbeit Zeit, oder muss der Patient in den nächsten 2 Wochen durchdiagnostiert sein?“ sind schwer zu beantworten. Zwischen den ganzen „Befindlichkeitsstörungen“ muss man also die „richtigen Patienten“ herausfischen.

Der Spruch „Jeder Hausarzt hat seinen eigenen Friedhof“ trifft das ganz gut, wobei ich nicht weiß, ob die der schwedischen Allgemeinärzte größer sind als die der deutschen…

Ganz im Ernst: Nicht etwa mangelndes Wissen, sondern das schier Unmögliche einen Patienten zu überweisen stellt oft das entscheidende Problem dar! Während in den meisten anderen Ländern „Vielen Dank für die freundliche Überweisung!“ auf dem Antwortschreiben steht, weigern sich schlichtweg die Fachärzte in den Krankenhäusern, Patienten anzunehmen. So reichen starke Magenschmerzen mit Erbrechen und langjährige Einnahme von Schmerzmittel wie Diclofenac (die die Magenschleimhaut angreifen) nicht aus, um zügig eine Magenspiegelung durchzuführen. Nein, es müssen erst „Alarmzeichen“ vorhanden sein… Hä, wie? Also wenn der Patient Blut kotzt, dann darf man mal anfragen???

Auf den abgewiesenen Überweisungen wird auf die Fülle der Überweisungen verwiesen und daß man diese und jene und noch 10 andere Untersuchungen und Therapieversuche unternehmen muß, bevor der Patient akzeptiert wird. Dann kommt er meist auf eine Warteliste.

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Wenigstens hier kümmert sich einer: kostenlose “Gummis” für die Jugend, verteilt (wie passend) von der Hebamme

Wartelisten sind auch so ein tolles Phänomen. Wenn ich z.B. eine Patientin habe, bei der ich eine Herzerkrankung vermute, so kann ich sie nicht einfach zum Ultraschall, Belastungs-EKG oder 24-Stunden-EKG überweisen. Selbst wenn sie dann akzeptiert wird, so muss sie mehere Monate auf die Untersuchung warten! Letztens bekam ich eine Antwort auf eine Überweisung, die meine Kollegin vor etwa einem Jahr abgeschickt hatte. Zudem kommen mitunter dumme Bemerkungen und generell herrscht ein gewisse Abwertung bzgl. der Kompetenz der Allgemeinärzte vor.

Das Problem in der Allgemeinmedizin ist, dass man auf andere Diziplinen mehr angewiesen ist, als die meisten anderen. Während man den Fortgang der Untersuchungen und Therapien dirigieren soll, wird man zeitgleich daran gehindert. Der Allgemeinmediziner (Facharzt) bekommt zwar ein kleinwenig mehr Geld als die anderen Disziplinen, hat aber nicht die Autorität, Prozeduren durchzusetzen, und darf sich anschliessend verantwortlich fühlen für den ausbleibenden Therapieerfolg.

Der bürokratische Aufwand für die „Allgemeinis“  ist erdrückend. Neben der ärztlichen Aufgabe müssen wir auch noch Krankschreibungen ausfüllen, die anders als in Deutschland von der Versicherung genehmigt werden müssen. Also nicht ich als Arzt, sondern die Versicherungsmitarbeiter entschreiden, ob jemand krank ist oder nicht! Besonders frustrierend ist jedoch, dass diese Mitarbeiter keinerlei medizinische Ausbildung genossen haben!!! Man neigt dazu zu hoffen, daß sie mit etwas Glück bei ihren Doktorspielen dazugelernt oder zumindest Emergency Room geschaut haben. Anfangs wunderte ich mich, dass ich Krankschreibungen zurück bekam. Ich verstand das nicht und ein älterer Kollege erklärte mir dann, dass ich quasi in Babysprache schreiben muss, weil die es sonst nicht verstünden…

Mehr noch: es soll die Zahl der Krankschreibungen gesenkt werden. Dazu erhalten die Mitarbeiter Punkte, was sich dann positiv auf den Lohn auswirkt…

Die Krankschreibung selbst umfaßt 2 DIN-A4 Seiten (elektronisch). Darauf muss u.a. ausgeführt werden, wie weitreichend die Funktionsbegrenzungen ausgeprägt sind, was aber nicht immer möglich ist. Wenn etwas für nicht ausreichend betrachtet wird, so bekommt man die Krankschreibung zurück und man darf ergänzen. Während ich für so eine Bescheinigung etwa 45-60 min brauche, verschiebt sich meine Sprechstunde nach hinten.

 

Sozialismus in Weiss

Im Sozialismus ist ja eine Aufhebung der Klassenunterschiede verankert. In der Sowjetunion wurde gleich ein großer Teil der Intelligenz unter Stalin verheizt. Der Arbeiter und Bauer ist mehr wert als der Akademiker, der sich nicht die Hände schmutzig macht. Wenn es um einen Vergleich geht, dann ist das schwedische Gesundheitssystem was den Umgang der Berufsgruppen angeht 200% sozialistisch. Josef hätte seine Freude. Schon in der Ausbildung lernen angehende Krankenschwestern, Anordnungen des Arztes in Frage zu stellen. Die Krankenschwester weiss es eh besser und überhaupt hat man etwas gegen das althergebrachte Hierarchiesystem in der Medizin. Grundsätzlich kein schlechter Gedanke, aber schlichtweg pervertiert. Es kommt zu Fehlbesetzungen, Personen werden Chefs, die überhaupt keine Kompetenz besitzen. Kompetenz und Inkompetenz sind nicht an Berufe gebunden, sondern an Personen. Aber das spielt scheinbar keine Rolle. Eine Krankenschwester als Chefin ist gern gesehen und schreibt den Ärzten vor, wie lange sie Zeit für Patienten sie haben und hat ihre ganz eigene Meinung, ob man Patienten wieder einbestellen darf oder nicht, ect.

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Pünktlich zur Vorweihnachtszeit werden in allen Krankenhäuser und Vårdcentralen tonnenweise ein und dieselbe Weihnachtsdekoration auf die Gänge gekarrt und in den Zimmern verteilt. Wer nicht zur Weihnachtsfeier erscheint wird komisch angeguckt. Bei der Bundeswehr hieß das “dienstliche Veranstaltung geselliger Art”. Na dann! Frohes Drauflos-weihnachten! – Ganz “spontan” und “individuell”…

 

Noch ein schönes Beispiel: In einer anderen Vårdcentral gibt es etwas mehr Ärzte, die auch etwas engagierter sind. Dort wird z.B. eine Röntgenbesprechung abgehalten, was ich für eine tolle Idee halte. Generell guckt kaum einer in meiner Vardcentral Röntgenbilder an, was ich für sträflich halte, aber „egal, scheiß drauf“. Die Idee der Röntgenrunde fand auch die Chefin toll und wenige Tage später verkündete sie stolz, dass unsere Röntgen-Unterkrankenschwester (!) sich bereit erklärt hätte, für uns Ärzte eine kleine Fortbildung zu machen, auf was wir bei den Röntgenbildern achten sollten, wenn wir diese interpretieren… Mir sind fast die Kronen aus dem Mund gefallen!

Das ist total verdreht, vollkommen Banane! Warum nicht gleich die Putzfrau als Referentin einladen?!

Diesen kleinen Aspekt zusammen mit den anderen zeigt eigentlich, dass „das System“ wie es im schwedischen Gesundheitsweden gelebt wird, nur sich selbst und seine eigene Gelüste bedient.

Die leidtragenden sind die Patienten, die für den ganzen Blödsinn Kraft haben müssen. Aber auch an den „Distriktsläkaren“ (Allgemeinmediziner) geht das nicht spurlos vorbei. So ist ein Großteil meiner Kollegen in der Vergangenheit ausgebrannt gewesen. Sich um alles kümmern, aber dann doch der Mülleimer für alle sein.

„Das ist mit inbegriffen“ sagte ein Kollege trocken zu einer anderen Ärztin in Weiterbildung. „Deswegen arbeite ich nur 60%“. Hä? Jahrelang studiert, ausgebildet, um dann möglichst wenig zu arbeiten? Also wenn dann die große Kohle fließt und man ein schönes Leben hat OK, aber nur „um nicht auszubrennen“???

Die Kategorie  „Arzt“ soll alle anderen respektieren, während sie selbst keinen Anspruch auf Respekt äußern darf. Das ärztliche Kunst wird zu einer austauschbaren Dienstleistung „downgegraded“ (in Deutschland ja nicht anders, man ist ja fast nur noch ein ökonomischer Faktor).

Fragt Ihr jetzt wirklich noch, warum den Job keiner machen möchte?  – Und ich? Gute Frage. Warum bin ich überhaupt hergekommen, wenn das alles nicht so „dolle“ klingt?

Das werde ich Euch in Teil 3 erklären… 😉

*Ja, Ihr müßt Euch halt schon noch ein wenig gedulden ;)*

“Alles wird gut”

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