Neues Jahr, neue Unterhose – Endlich!

31.12.2022 – In Zeiten der explodierenden Energiekosten ist das Sparen die richtige Strategie. Nachdem uns gesagt wurde, dass wir nicht mehr so viel duschen sollen, könnte man schlußfolgern, dass man auch weniger waschen sollte. Heizungen sollen weniger heizen und wahrscheinlich werden unsere Kinder demnächst das Seepferdchen beim Eisbaden machen. Ach was heißt Eisbaden: bei den Temperaturen wird wahrscheinlich das Seepferdchen heimisch in unseren Gewässern…

Aber mal Spass beiseite. Was war das wieder für ein Jahr? In wenigen Stunden ist es vorbei und viele Menschen sagen sich sicherlich „endlich!“, in der Hoffnung, dass das neue Jahr besser wird. Auch uns geht es ein Stück weit so. Sehr viel Unruhe und Sorgen liegen hinter uns und einige werden sicherlich ins nächste Jahr folgen.  Sorgen, die viele andere Menschen in Deutschland und anderswo mit uns teilen: der Krieg in der Ukraine, die Kriegsgefahr im Kosovo, die Energiekrise, die Inflation, die Klimakrise, die Ausläufer der Corona-Pandemie… ach ja und die anderen Krisen der Welt, die es gar nicht erst in die Nachrichten oder Gazetten geschafft haben, weil sie “eh weit weg” sind.

Könnte auch ein Statement zum Jahr 2022 sein: Werbeplakat der Berliner Stadtreinigung (BSR)

Ich gehe in eine Filiale einer großen Drogeriekette, mir fehlen noch ein paar Kleinigkeiten. Die Menschen sind aufgekratzt, aber nicht negativ gestimmt. Silvesterraketen und Böller gibt es hier zwar nicht, aber allerlei anderer Kram, mit dem man so einen Abend ausschmücken kann. Die Leute kaufen wie verrückt, als ob es keinen Morgen gäbe. Ich stehe an der Kasse, hinter mir legt eine junge Frau drei XXL-Kondompackungen auf das Fließband. Jeder knallt eben auf seine Art und Weise, denke ich …

“Nüchtern nicht zu ertragen!”

Wir werden gar nichts dergleichen machen. Wir brauchen Ruhe, wir agieren mehr oder weniger nur auf Sparflamme (wir sparen quasie auch mental Energie). Nachdem  Nico erst vollmundig verkündet hatte, bis Mitternacht durchzuhalten, dreht er sich um halb zehn abends auf dem Sofa rum und beginnt zu schnarchen. Nur mit etwas Mühe bekommen wir ihn kurz vor Mitternacht wach, um uns anschliessend einen Vortrag anzuhören, in dem er erklärt, warum das ganze Geböllere und die Raketen blöd sind: es ist zu laut („die armen Vögel“), die Umwelt wird belastet, Müll liegt rum usw. Recht hat er. Hatte ich mit sechs Jahren auch solche Gedanken? Wahrscheinlich eher nicht. Ob er das Ganze nächstes Jahr genauso sieht?

Im Fernsehen verfolgen wir den Countdown. Irgendwann merke ich, dass es eine aufgezeichnete Sendung ist. Billiger geht’s nicht. Oder? Doch, es geht noch billiger: auf einem anderen großen öffentlichen Sender ist die Live-Show vor dem Brandenburger Tor zu sehen: mit Johannes B. Kerner und „Kiwi“ – wie immer. Die Sprüche abgedroschen, das Musikprogramm schmalbrüstig – finde ich jedenfalls. Und das Beste: im Anschluß werden die Highlights aus der Silvesternacht 2021 gezeigt! Bitte was? Also noch billiger geht’s nun wirklich nicht! Eine Berliner Zeitung titelt später: „Nüchtern nicht zu ertragen!“ Recht hat sie.

Wir unterwerfen Britannien!

Wir sitzen in einem Schnellrestaurant im Taunus. Nico hockt in der „Russenhocke“ auf seinem Stuhl und hat mit der Faust auf den Tisch gehauen. Er grinst breit über das Gesicht und freut sich über unsere Verdutztheit – und die der anderen Gäste. „Wir unterwerfen Britannien!“ hat er dabei gerufen, um ebenso entzückt mit einem „Römer! Man bringe mir eine Servicia!“ und “Diener!” hinterher zu schieben. Oh Mann, und ich dachte Asterix und Obelix sind harmlose Comics…. (Servicia ist irgendso ein römisches Gesöff)

“Wir unterwerfen Britannien!” – Darstellung eine Kriegers aus Playmobil

Diese Szene trug sich im Sommer zu, allerdings nicht im Urlaub. Bis Juli hatte ich in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet (super-interessant!!!). Eine spannende Zeit. Aus verschiedenen Gründen hatte ich mich entschlossen, eine Weiterbildung in der Arbeitsmedizin zu beginnen (Arbeitszeiten als ein Argument von vielen). Zuvor wollte ich aber noch etwas „Knete“ verdienen. Daher hatte ich mich bei verschiendenen Online-Plattformen angemeldet, die Ärzte an Krankenhäusern vermitteln. Ein sehr lukratives Geschäft für Ärzte und Vermittler, das die Kliniken und Praxen teuer bezahlen müssen. Horrende Summen werden pro Stunde geboten. Es ist die Konsequenz der falschen Gesundheitspolitik und der Interaktion zwischen Politik, Krankenkassen, Ärztevertreter und Kliniken, die in der allseits bekannten Personalknappheit münden. Am falschen Ende gespart heißt wie immer draufzahlen. Warum soll ich davon nicht auch mal profitieren?

Klar, mit Familie kann man das nur einen begrenzten Zeitraum machen, da man eigentlich  nur am Wochenende zu Hause ist. Wir aber waren bereit, dieses Opfer versuchsweise zu erbringen.

Mein erster Einsatz führt mich nach Mittelhessen, nicht weit weg von Wetzlar. Dank gesperrter Autobahnbrücke und Baustellen verlängert sich meine Anreise und die an den Wochenende zu erduldende Pendelei, aber man erbringt ja gerne Opfer. Ich habe ja schon für weniger Geld die Schenkel gespreiztnur mental, versteht sich!

Ich hätte auch gerne die Bahn genommen und vor mich hingedöst oder gelesen, anstatt jetzt hier die kurvenreichen Strassen im Taunus zu erkunden, aber die Anbindung war einfach zu schlecht bzw. nicht vorhanden. Dafür lassen sich immer wieder schöne Ecken entdecken, bei dem Wetter ganz entzückend. Zwei Monate bin ich in der großen Praxis angestellt und lerne die Mentalität der Menschen in „Hesse“ kennen. 

An scheinbar jeder Ecke scheint es eine Burg zu geben, wie hier in Runkel

Insgesamt hat es mir hier sehr viel Spaß gemacht, wenn auch das Management wieder einmal enttäuschend ist: zunächst werden mir Verträge zu anderen Konditionen unter die Nase gehalten, die mir deutlich weniger Geld zugestanden hätten. Ich bleibe jedoch hart und unterbreite mein „Gegenangebot“: entweder ich bekomme das Geld zu den Konditionen, die ursprünglich verabredet waren, oder ich trete am gleichen Nachmittag noch die Heimreise an. Schliesslich geht alles sehr schnell und ich bekomme das, was mir zusteht. Geht doch…

Malerisch: die Lahn bei Wetzlar

Ich bin in wechselnden Ferienwohnungen untergebracht, die allesamt sehr gut sind. Die Familie besucht mich am Wochenende, oder ich fahre nach Hause. Wenn die beiden bei mir sind, erkunden wir die Gegend. So fahren wir mal nach Frankfurt, ein anderes Mal erkunden wir ein altes Bergwerk: Nahe Wetzlar befindet sich die sehenswerte Grube Fortuna, in der einst vor allem Eisenerz abgebaut wurde. Nach einer Fahrt mit dem “Fahrstuhl” geht es 150 m tief unter die Erde.

Hier wartet eine kleine Grubenbahn, auf die man sich wie auf einen Sattel setzt und sich wie an einem Lenker festhält. Der Kopf ist mit einem Helm geschützt, aber trotzdem muss man den Kopf einziehen, will man sich keine Beule holen.

Grube Fortuna bei Wetzlar

Die wilde Fahrt geht fast 500 m durch die Dunkelheit, dann ist man da. Ein junger Mann, der sich neben dem Studium etwas hinzuverdient führt sachkundig durch die naßkalten Gänge. In den Nieschen liegen dekorativ noch Spaten, Hämmer, Presslufthämmer, manche Leiter führt einen dunklen Schacht hinauf. Man kann sich leicht vorstelllen, wie schwer die Arbeit damals gewesen sein muss und auch später noch, bis die Grube 1983 vollends geschlossen wurde. Ich will gar nicht an die berufsbedingten Erkrankungen denken, die durch die Arbeitsbedingungen verursacht wurden…

Es kommt der letzte Tag, ein Abend in einem Restaurant folgt und ich trete den Heimweg an. Im Gepäck habe ich neue Kontakte, Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind und viele schöne Momente.

Weitere EIndrücke aus Hessen:

Akademische „Wanderhure“

Nach zehn Tagen Pause ruft das Meer: es geht nach Borkum in eine Rehaklinik. Das klingt spannend. In den letzten Jahren war Bahrain die einzige Insel, die ich besucht habe. Jetzt wird es Zeit für zwei Monate an der Nordsee. Mit dem Hochsee-Reizklima erhoffe ich mir etwas Erleichterung für meine Bronchien und mein Asthma. Immerhin wirbt die Insel mit den Kur- und Rehaeinrichtungen für leidgeplagte Patienten, vor allem Atemwegs- und Hauterkrankungen.

Überfahrt nach Borkum

Wieder versuche ich die Anreise mit dem Zug. Am Morgen der Abreise zeigt mir die Bahn-App jedoch den Ausfall des Zuges an. Der nächste geht erst viel später und ich muss ja immerhin an den Anschluß mit der Fähre denken. Also machen Olga und Nico einen “Ausflug” und fahren mich nach Emden. Nach einem kleinen Spaziergang durch die Stadt geht es bei sonnigem Wetter zum Hafen. Bei der Ausfahrt aus dem langgestreckten Hafen passieren wir ein Abfertigungsareal, auf dem olivgrüne Fahrzeuge stehen. Die Fähre passiert in ausreichender Nähe, sodaß man mit Leichtigkeit sehen kann, dass dort vor allem Schützenpanzer aufgereiht sind, fertig zur Verladung. Wohin die wohl gehen? In die Ukraine?

Schweres Gerät

Ich merke mir den Namen des Schiffes und schaue auf einer Internetseite nach, auf der es ähnlich wie bei Flügen die Möglichkeit gibt, Informationen über die Schiffe zu erhalten. Hier läßt sich sehen, dass der Frachter Kurs auf Südamerika nehmen wird.

Der Wind, der mir schon am Hafen um die Nase wehte wird für die nächsten Wochen mein Begleiter sein. Jeden Schritt, den ich ausserhalb des Gebäudes tun werde, wird er mich verfolgen bzw. entgegenwehen.

Noch bevor wir die Insel erreichen, kann man schon aus weiter Entfernung einen Kasten sehen, der am Horizont wie ein Fremdkörper trohnt. Sind das die Aussenbezirke von Berlin mit Plattenbauten? Der scherzhafte Gedanke entpuppt sich als echter Plattenbau: ein Hotel, das den Charme von Berlin-Marzahn oder Gropiusstadt in Berlin-Neukölln hat. Grau und häßlich empfängt er den Besucher schon von Weitem. Auch für Menschen ohne jegliches Gefühl für Ästhetik würden bei dem Anblick erschrecken.

Blick auf das weite Meer

Im Hafen, direkt neben der Anlegestelle steht die Inselbahn. Die Diesel-Schmalspurbahn bringt mich und die anderen Gäste in das Orts- und Inselzentrum. Es erinnert mich an eine Modelleisenbahn-Szenerie, die hier groß geworden ist. Alles sieht etwas niedlich und künstlich aus, hat aber auch seinen Charme.

Erst mal Mattjes in einer Strandbude

Die Klinik ist eine von vielen. Besser gesagt: eine von sehr vielen, die hier direkt an der Uferpromenade stehen. 100m weiter ist der Strand, das Meer ist gerade wegen der Ebbe gerade weiter weg. Nach überstandenem Corona-Schnelltest bekomme ich eine Schlüssel für ein Zimmer in der Klinik. Leider ist es nur leidlich sauber, aber schon nach wenigen Tagen kann ich in ein Haus nebenan einziehen. Die anfängliche Freude über eine eigene Ferienwohnung weicht schnell dem Schrecken: Auf dem Fußboden im Teppich finde ich eine Schraube, der Wasserkocher in der Küche fällt mir auseinander, im Bad finde ich die benutzten Handtücher der Vorbewohnerin samt Resten von Make-up, eine Kontaktlinse lächelt mich im Waschbecken an, in Wohn- und Schlafzimmer dicke Staubschichten auf den Schränken, nebst einem zerbrochenen Spiegel… wunderbar! Das hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen….

Abendspaziergang

Die Kollegen kennen das schon und ertragen es mehr oder weniger. Auch in der Klinik ist es schmutzig, Patienten klagen über nicht gereinigte Zimmer und Schimmelbefall. Also genau das Gegenteil dessen, was ein an Atemwegserkrankungen und Hauterkrankungen leidender Patient so alles braucht. Das Management interessiert sich nicht dafür, eine Email meinerseits wird nur schnippisch kommentiert, aber mir soll das egal sein. Ich kann ja wieder verschwinden.

Atemberaubende Landschaften

Vom positiven Effekt des so angepriesenen Klimas habe ich in den ersten Wochen keine Freude: ich habe erst einmal mit einer Verschlechterung meines Asthmas zu kämpfen und inhaliere und mediziniere mich selber. Nach drei Wochen bessert sich die Symptomatik und ich kann endlich erleichtert an die Arbeit gehen.

Viele Patienten berichten über eine vorübergehende Verschlechterung der Symptome und tatsächlich bedeutet der Aufenthalt in diesem Reizklima nicht „Urlaub von den Symptomen“, sondern zielt u.a. auf eine Aktivierung und Harmonisierung des Immunsystems ab, von der die Patienten auch nach dem Aufenthalt für mehrere Monate profitieren.

Fast so schön wie in der Wüste… 😉

Auch hier lerne ich wieder den ein oder anderen interessanten Menschen kennen, aber insgesamt gestaltet sich der Aufenthalt eher schwierig. Der Mitarbeitermangel ist so eklatant, dass Überstunden geschoben werden müssen.

Weitere Bilder von Borkum:

Geordneter Rückzug

Auch zu Hause spitzt sich die Situation zu: nachdem Nico eingeschult wurde verliefen die ersten Wochen eigentlich ganz normal. Nach und nach zeigte jedoch ein Mitschüler aggressive Verhaltensauffälligkeiten. Das Ganze gipfelte dann darin, dass der Junge u.a. Nico nicht nur trat, sondern auch würgte, sodaß Nico Sternchen sah. Bewußtlos war er zwar nicht, aber in der ersten Klasse (!) wiegen diese Verhaltensweise besonders schwer.

Nico hatte Angst vor dem Jungen, andere Kinder weinten den ganzen Abend und wollten gar nicht mehr in die Schule gehen und nachts wieder einnässten.

Ich entschied mich daher, meine Tätigkeit auf der Insel vorzeitig zu beenden und nach Hause zurückzukehren. Geld ist eben nicht alles. Eine gute Entscheidung. So konnte ich mich um Nico kümmern und die Gespräche mit der Direktorin und den anderen Eltern mittragen. Inzwischen ist der auffällige Junge in einer anderen Klasse, Jugendamt und andere assistierende Stellen sind ebenfalls involviert. Ich kann nur hoffen, dass dem Jungen die nötige Unterstützung zukommt, die er braucht…

Man wird nicht älter, nur „weniger jung“

In der Zwischenzeit hatte ich mich natürlich auch um einen neuen Job gekümmert, sodaß ich Mitte November eine Stelle in der Arbeitsmedizin antreten konnte (dem Ärztemangel sei Dank!).

Fünf (5!) Arbeitgeber habe ich dieses Jahr „ganz klassisch befriedigen“ dürfen, auch wenn das mehr oder weniger geplant war. Inzwischen (Januar 2023) bin ich fast 2 Monate dabei und ich habe erst einmal nicht die Absicht, wieder die Stelle zu wechseln. Es ist Zeit, sich in etwas ruhigeres Fahrwasser zu begeben mit geregelten Arbeitszeiten und die Möglichkeit, Nico bei den Hausaufgaben zu unterstützen, zusammen Zeit zu verbringen, oder auch vielleicht so etwas wie Hobbys zu haben…?

In ein paar Jahren würde ich dann aber doch gerne wieder einen Tapetenwechsel haben wollen… vielleicht. Immerhin werde ich ja „weniger jung“ , wie ich immer sage…

Auch ein Statement für das vergangene Jahr?

Wahnsinn hautnah – Neues aus der “Ballerburg”

In welcher verrückten Zeit leben wir eigentlich? Wer hat sich diese Frage in den letzten Jahren nicht auch vermehrt gefragt? Da ist Corona, die Klimakrise, Kriege und Konflikte, Inflation, Mietenexplosion… Das ist doch wie im Irrenhaus, möchte man meinen. Und dann ist da noch der Krieg vor unserer Haustür. Großmächte und Allianzen, steigen aus der Versenkung. Die einen weiß, wie das Gute, die anderen schwarz wie das Böse. Längst überwunden geglaubte (eiserne) Vorhänge werden wieder hoch gezogen und alte Ängste werden zu neuen. Was soll man glauben? Mit Familienangehörige auf beiden Seiten des Konfliktes in unserer Nachbarschaft sind wir besonders betroffen, bangen und hoffen. Das Herz schmerzt. Entgegen der Ansicht treffen doch in der Realität keine abstrakten Systeme aufeinander, sondern Menschen, wie wir alle. Das ist traurig und krank. Es gibt keinen einzigen echten Grund, Krieg zu führen!

Genauso krank ist die Hierarchie unter den Konflikten: wer spricht noch von Somalia oder Syrien? Und wieso sind Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afghanistan Flüchtlinge zweiter Klasse? Während sie im Niemandsland zwischen den Staaten stecken, ziehen die Flüchtlinge aus der Ukraine an ihnen vorbei durch offene Tore. Sollten diese nicht für alle gleichermaßen offen sein? Ein polnischstämmiger Freund vermutet, dass die Ukrainer als christliche Glaubensbrüder gesehen werden und z.B. in Polen daher eher willkommen sind… Das ist doch Wahnsinn!

Aushalten

Von dem habe ich momentan übrigens mehr als genug – um mich herum versteht sich! Passend zu dieser Zeit habe ich in der Psychiatrie “angeheuert”, dem Irrenhaus, der Irrenanstalt, Narrenhaus, Klapsmühle, Tollhaus, der “Ballerburg”. Im November habe ich im stationären Bereich angefangen. Gemäß meinem Ideal “alles mal gesehen zu haben”, hat es mich schon immer mal interessiert, hinter die Fassaden zu schauen. Natürlich kann man nicht alles machen, aber für meine hausärztliche Tätigkeit allemal lehrreich. Und: ich habe mich nicht geirrt. In den paar Monaten habe ich bereits viele, sehr viele Krankheitsbilder gesehen, deren Ausprägung ich so sonst eher selten zu Gesicht bekomme: Schizophrenie, Manie, psychotische Zustände, Suizidalität, psychische Traumata, Depressionen, Angst, Persönlichkeitsstörungen. Inzwischen sehe ich Situationen anders, bewerte auch vergangene Erlebnisse mit anderen Menschen neu. Und das Beste: ich erkenne auch Kollegen in gewisser Weise wieder… Situationen, in denen ich mich früher geärgert habe wegen Oberärzten oder anderen Kollegen, bekommen plötzlich einen Sinn, besonders bei Thema Persönlichkeitsstörungen…

Aber ich will mich nicht nur über Andere lustig machen, auch ich selber bekomme mein Fett weg. Man merkt seine eigenen Defizite mehr. Zum anderen ist da der Kontakt mit den Kranken: es macht etwas mit Dir. Eine Binsenweisheit vielleicht, da der Kontakt mit anderen Menschen immer etwas mit einem macht. Aber hier sind es z.T. sehr verstörende Bilder, die in Gesprächen transportiert werden, meist Kindheitstraumata, die einem schwer im Magen liegen können, wenn man sie hört.

Im Gegensatz zur Unfallchirurgie z.B. sitze ich passiv da, kann nicht schrauben, Blutung stoppen usw. Aktives Zuhören ist angesagt, oder einfach nur still zuhören. Aushalten. Und das fordert einen heraus. Das trifft besonders auf die “geschlossene Station” zu, wo hochakute Patienten versorgt werden, die z.T. mit Handschellen und der Polizei kommen (per PsychKG = Psychisch-Kranken-Gesetz = Zwangseinweisung”):

“Es gibt nichts, das es nicht gibt!”

Ein junger Mann, der auf der Brücke stand und seiner Freundin Bilder schickte und drohte zu springen – um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen – als kleiner Junge vernachlässigt, alleine, vom Freund der Mutter mit einer Holzlatte verprügelt, als Erwachsener hochgradig dependent und depressiv. Die junge Frau, intelligent, die sich selbst immer wieder verletzte, Glasscherben aß, zwangseingewiesen wurde um eine Stunde nach Entlassung auf den Schienen stand – und von zwei Studenten gerettet wurde. Dann die junge Frau, die vom Vater als vierjährige mit dem Gürtel bis zur Bewußtlosigkeit gewürgt wurde und sich in einem anderen Krankenhaus selber strangulierte und nicht in der Lage ist, ein eigenes Leben zu führen und Todessehnsucht hat. Oder der 20jährige, der sich ein Brotmesser in die Brust rammt, wie ein Wunder überlebte und sich anschliessend damit das halbe Kinn wegschnitt. – Und: Pöbelnde, aggressive, gewaltsame Patienten in ihrer Psychose, nette, schweigsame Patienten, die auf dem Schrank sitzen… es gibt nichts, was es nicht gibt. Dieser Spruch bewahrheitet sich hier wieder.

Im Auge des Betrachters: der eine sieht das Dach des Hauses, der andere eine Möglichkeit zu Springen

Das sind einprägsame Fälle, aber auch die weniger spektakulären sind bedeutsam. Hinter jedem Fall steht ein Mensch, der gelitten hat und noch leidet. Zwangseinweisung, Freiheitsentziehung im Zimmer (“Gummizelle”), angegurtet oder gar Zwangsmedikation, das sind die härtesten Maßnahmen. Beruhigend kann ich bestätigen, dass es keinem der Kollegen, die ich bisher kennengelernt habe, Spaß macht, Patienten “wegzusperren” oder “ruhigzustellen”. Auch das Rechtssystem beruhigt mich, wenn es um die Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern geht. Vor wenigen Jahrzehnten ist das auch in Deutschland noch anders gewesen…

Wie im Krieg!

Corona ist los! Kaum sind die ersten Fälle in Deutschland bekannt, drehen die Menschen am Rad! Hamsterkäufe. Desinfektionsmittel ist nicht mehr erhältlich. Angeblich werden Flaschen schon mit 200-300 Euro gehandelt! Und Masken gibt’s eh schon keine mehr. Bitte, was soll das??? Seid`s denn närrisch geworden???

Karneval in Osnabrück

Bereits im Januar erfuhr ich, dass eine chinesische Familie von Shanghai nach Osnabrück gezogen sei: Flucht vor dem Virus! Ziemlich verrückt fand ich das und konnte mir die Panik nur in dem fehlenden Vertrauen gegenüber der staatlichen chinesischen Institutionen erklären. Während “Häuptling Jens” (Gesundheitsminister J.Spahn) selbstverliebt in die Kameras grinste, und davon sprach, dass Deutschland gut aufgestellt sei, verriet uns der Apotheker, dass in ganz Deutschland keine FFP2 bzw. FFP3-Masken mehr erhältlich seien. “Alles nach China verkauft!”. Gleichzeitig fanden (noch) keine Kontrollen von Reisenden aus China an Flughäfen statt…

Sind denn alle verrückt geworden?

Als ich heute morgen auf der Arbeit ankam, wartete die eine Arzthelferin aufgeregt auf mich: In Osnabrück gebe es den ersten Quarantäne-Fall. Erst einmal nicht so schlimm, aber die Menschen hamsterten wie die Verrückten, sodaß wir für unsere Desinfektion keinen Nachschub mehr bekämen. Wir beschlossen, alle vorhandenen Desinfektionsspender wegzupacken, damit diese nicht geklaut würden! Wo sind wir denn hier? Im Kriegsgebiet? 1945? Das hier ist nicht Ebola!!!

Sicher, wir wissen noch nicht genug über das Virus, aber es ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen kein hochgefährlicher Erreger! Da gibt es schlimmere, allen voran das Influenza-Virus, das vor allem in der Saison 2017/18 verheerende Ausmaße angenommen hatte. Ganz zu schweigen von den Jahren 1918-1920, also vor ziemlich genau 100 Jahren, als während der sogenannten Spanischen Grippe weltweit mindestens 25 Millionen Menschen starben!!! Im Gegensatz dazu wird die Corona-Infektion als eine Erkrankung mit mildem Verlauf beschrieben. Was einem natürlich trotzdem zu denken gibt: warum sterben auch junge Menschen, wenn es denn so mild sein soll? Die Umstände spielen bestimmt auch eine Rolle: Vorerkrankungen, Ernährungsstand etc.

Verwirrende Informationen gepaart mit reißerischen Bildern aus Fernost tragen das Nötige dazu bei, um unsere Phantasie anzuregen. Wer hat nicht schon mal einen Film gesehen, in dem die Menschheit als Ganzes von Naturkatastrophen oder eben einem Virus bedroht wird?

Also:

Ja, es gibt eine Pandemie und Anlaß, Vorkehrungen zu treffen und Pläne umzusetzen. Das ist alleine schon deswegen hilfreich, weil wir so lernen können, was es zu verbessern gilt, falls wirklich mal ein gefährliches Virus die Welt überrollt! Und: Ja, die gefährdeten Patientengruppen müssen geschützt werden.

Nein, Panik(mache) ist wie immer fehl am Platze und gefährdet Menschenleben: Desinfektionsmittel gehört in medizinische Hände und nicht in die von Privatpersonen! Übrigens: die Masken schützen einen eh nicht, wenn es nicht FFP3-Masken sind. Und auch diese sind dann irgendwann mal “durch”. Aber für Tuberkulose oder andere gefährliche Erkrankungen brauchen wir die und wenn die dann vergriffen sind, weil irgendwelche Narren die auch nach Karneval noch bunkern müssen, dann gefährdet uns das!!!

In diesem Sinne: Bleibt gesund und passt auch etwas auf die Psyche auf…!

Links: Robert-Koch-Institut allgemein und Informationen zur Influenza unter RKI Arbeitsgruppe Influenza mit Berichten zur aktuellen Lage.

Sonne und wahrer Reichtum

Dubai und Bahrain دبي و البحرين

Endlich Urlaub! Nach einem anstrengenden Jahr war wieder eine “Erholungsreise” gepant. Naja, wenn wir unterwegs sind, dann ist das mit der Erholung nicht so einfach… Nico ist jetzt 3 Jahre alt und es ist doch recht “anspruchsvoll” das kleine Energiebündel zu kontrollieren.

Nach meiner Facharztprüfung – einem Mittwoch- hatte ich ganze 2 Werktage frei. Nach einem Wochenende ging es dann auch schon wieder los: in neuer Praxis, neuen Mitarbeiterinnen (ich bin der Hahn im Korb, Kikeriki!), neuen Kolleginnen und neuen Patienten. Bis auf eine Woche wurde der ganze Sommer durchgearbeitet, was ich aber gar nicht so schlimm fand, weil wir ja wieder einen wunderbaren Sommer hatten. Zum September hin, dünnten die Kraftreserven jedoch etwas aus und so freuten wir uns auf den Urlaub.

Tip: Egal ob Ihr Kinder habt oder nicht, nehmt immer einen Kinderwagen mit!

Während in Deutschland im September die letzten warmen Tage verstreichen und der Vorgeschmack auf Herbst sich breit macht, machen wir uns auf den Weg nach Frankfurt. Nach einer Nacht in einem Hotel am Flughafen geht es zum Checkin. Die Entscheidung, einen Kinderwagen mitzunehmen war goldrichtig gewesen! Bei der Gepäckaufgabe sagte man und, wir können den Wagen bis zum Gate mitnehmen, was angesichts der Entfernungen super war. Das Beste jedoch: Der Trolley fungiert ab jetzt als VIP-Ticket. Egal ob bei der Passkontrolle oder aber beim Security-Check, überall führt man uns direkt zu der Stelle, wo man mit Kinderwagen durchkommt. Wir können also an den stehenden Massen vorbeiziehen und müssen keine Sekunde warten!!! Herrlich! Ich verreise ab nun an nur noch mit Kinderwagen!

Wir wollen ein paar Tage in Dubai verbringen und anschliessend noch eine Woche in Bahrain. Freunde wiedersehen, auftanken. Nach einem Zwischenstopp in Bahrain geht es weiter nach Dubai. Was mich schon immer fasziniert hat, ist die ausgiebige Beleuchtung der nachts fast leeren Autobahnen in den Emiraten. Von Horizont zu Horizont ziehen sich die Lichterketten, mitunter kann man vereinzelte Lichter, die von Autos stammen, ausmachen.

Landung in Dubai (DXB)

Die Ankunft in Dubai verläuft reibungslos, trotz der schier unendlichen Größe des Flughafens. Eine kleine Metro bringt uns in die Ankunftshalle und da liegt auch schon der Kinderwagen und unsere beiden Taschen bzw. Koffer kommen auch schon. Ich war noch nie so schnell durch!

Auch die Abholung des Mietwagens gestaltet sich recht einfach. Neben uns ein Afrikaner mit französischem Pass. Lächelnd erklärt er dem Mann am Schalter, dass er nur eine Kopie seines Führerscheins hätte. Doch der Schaltermann winkt ab: keine Chance, das Original alleine zählt! Der Afrikaner zuckt gelassen mit den Schultern, lächelt und fragt noch, ob es hier Uber* gäbe, bevor er geht.

*Uber: Ein amerikanisches Unternehmen, das online Vermittlungsdienste für Personenbeförderung anbietet.

Der Mann hat mich beeindruckt! Diese Gelassenheit! Wenn mir das passiert wäre…. Da können wir ne ganze Menge von ihm lernen!

Ein junges Paar kommt mit zwei kleinen Mädchen. Mama trägt Kopftuch, Papa wirkt südländisch. Er spricht Englisch mit dem Schaltermann. Da sehe ich seinen deutschen Pass in den Händen. Es ist eine Familie aus Frankfurt mit marokkanischen Wurzeln. Arabisch spreche er lieber nicht, weil niemand seinen Dialekt hier verstehen würde… – so fühle ich mich auch, manchmal wenn ich einem Bayer gegenüber stehe (sorry Jungs, aber der passte jetzt gut! 😉 )

Ausblick aus dem 20.Stock

Wir bekommen unser Auto. Es ist ein Mitsubishi Pajero. Mit diesem Wagen haben wir im Oman gute (Offroad-) Erfahrungen gemacht. Dieses Mal wollen wir es lieber gelassener angehen, aber die Größe bringt gleich mehere Vorteile mit sich: man kann den Kinderwagen locker verstauen, hat mehr Knautschzone und durch den hohen Sitz auch einen besseren Überblick. Nach 20 min Fahrt durch das nächtliche Dubai über vielspurige Highways haben wir es endlich geschafft: ein 4-Sterne Hotel. Der Wagen wird am Eingang abgegeben und von einem Hotelangestellten geparkt. Auf Parkplatzsuche hätte ich jetzt eh keine Lust mehr gehabt.

Jeder hat seinen eigenen Fokus

Doch trotz der späten Stunde herrscht hier reger Verkehr – und das im doppelten Sinne: leicht bekleidete junge Damen, die mit faltigen Herren auf ihren Hotelzimmern verschwinden. Dass hier gearbeitet wird, liegt auf der Hand… Olga und ich gucken uns an und müssen schmunzeln.

Erst einmal ausschlafen! Wir haben ein Zimmer im 20. Stock, fast ganz oben. Eine Aussicht auf Highways und in der Ferne den Burj Al Arab.

Durch die Stadt der Superlativen

Am Morgen nehmen wir unser Auto wieder in Empfang und los geht’s – erstmal in die falsche Richtung. Das ist gar nicht so schwer hier! Die Stadt hast sich entlang der Küste ausgebreitet, scheinbar ganz ohne Stadtplanung. Dementsprechend gestaltet sich das Strassennetz. Während es aus der Entfernung eher schachbrettartig anmutet, so zeigt es sich bei näherer Betrachtung von seiner wahren Seite: Highways mit zahllosen Spuren (wie haben einmal 8 Spuren gezählt – in einer Richtung!), neben- und hintereinander liegenden Auf- und Abfahrten, Unterführungen und sog. “Flyovers” (Überführungen) – allesamt scheinen sie eine verkehrstechnische Arabeske zu bilden.

Für gute 100 Euro (!) hätten wir ein Navi dazumieten können, aber wir waren so schlau, unser GoogleMaps vom Handy zu nutzen. Eigentlich eine gute Idee, aber durch das viele Durcheinander kam das Satellitensignal im Verkehrsfluss oft nicht hinterher und oftmals stellte sich die Frage “ist es diese Spur oder die andere oder die da hinten?” So sind wir bestimmt 100 km insgesamt “falsch-gefahren”…

Auf der anderen Seite ist es ein Leichtes, durch die Architektur der Gebäude abgelenkt zu werden. Jedes ein Kunstwerk. Ebenso wie die Metro, die wir leider nicht schafften, auszuprobieren.

Burj Khalifa

Der absolute Wahnsinn: der Burj al Khalifa, das mit knapp 830m das welthöchste Gebäude. Eigentlich wollte ich da rauf, aber die Ticketpreise versalzten mir dann doch die Lust. Außerdem ein kritischer Gedanke: Muß man überall rauf? Und die Aussicht ist doch so ähnlich wie beim Anflug auf Dubai, oder?

Ebenso eine Superlative: Die Dubai Mall. Die (z.T.) größte Mall der Welt (je nachdem welche Statistik man betrachtet. Mit einem Aquarium, einer Skipiste und einer Eislauffläche, um nur drei verrückte Sachen zu nennen. Und: mehr als 1200 Geschäfte auf gut 500.000 Quadratmetern, mehr als 750.000 Besuchern pro Woche (2015: 92 Millionen Besucher!). Trotz der Massen hat man nicht den Eindruck vollkommen erdrückt zu werden, was erstaunlich ist.

Dubai Mall

Direkt dahinter erstreckt sich ein künstlich angelegter See und ein Areal aus emporsteigenden Neubauten mit dem Burj Khalifa als optischen Magneten. Es ist der pure Wahnsinn. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass alle 163 Etagen belegt sind… oder doch?

Wir lassen das alles auf uns wirken. Es sind fast 40°C und die Sonne knallt. Gleichzeitig ist die Luftfeuchtigkeit extrem hoch, sodass die Kamera erst einmal minutenlang beschlagen ist.

Langsam bekommen wir Hunger. Der Foodcourt ist noch größer als in anderen Malls – natürlich. Das heisst aber nicht, dass er unbedingt besser ist. Vor allem Fast-Food gibt es hier, aber auch ein Stand mit “Original German Döner”.

Hier noch ein paar mehr Eindrücke:

Noch viel zu lernen…

Nach einer Mittagspause im Hotel soll es am Abend zum Strand gehen. Wenigstens mal die Füße ins Wasser halten. Nico ist schon ganz verrückt nach Wasser. Pünktlich zum Sonnenuntergang parken wir das Auto an der Uferpromenade unweit des Burj Al-Arab.

Jumairah Public Beach mit Burj Al-Arab

Auch in Dubai muss man Parktickets bezahlen. Ich habe jedoch nur ganz wenige Münzen, nicht genügend für das Füttern der Parkuhr. Ich verdreh´die Augen entnervt. Per SMS könne man auch zahlen, aber das funktioniert irgendwie nicht. Nico wird schon ungeduldig, die Sonne neigt sich weiter. Also irgendwoher Münzen bekommen. Etwa 200m weiter gibt es am Strand ein Imbiss, also latsche ich bei 38°C dort hin. Das Wasserfläschchen kostet 2 Euro, das geht ja noch, aber ich bekomme einen Schein als Rückgeld. Ob sie mir nicht Münzen geben könne? “Sorry Sir, no coins!”, anwortet mir die junge Asiatin. Auch ihr Kollege habe keine Münzen, aber vielleicht der Eisverkäufer vor dem Stand. “No, sorry! Icecream?” Oh Mann, ich will kein Eis, ich will Münzen! Ich bin langsam am Ausrasten!!! Vielleicht der Getränkeverkäufer hinter dem Stand, doch der winkt ab. Aaaaaaaahhhhhh!!!! Ihr macht mich wahnsinnig!!!!! Aber auf der gegenüberliegenden Seite solle ich es mal versuchen, dort am Eingang des Parks. Und tatsächlich: ich bekomme Papier gegen Metall. Glücklich spurte ich zurück zum Parkautomaten, um festzustellen: Ich hätte auch mit Karte bezahlen können! Aaaaaaaahhhhhhh!!!!! Tief durchatmen….

OK, also Münzen rein und…. sie kommen wieder raus!!! Ich könnte kotzen!!!Die Sonne ist kurz über dem Wasser, Olga sieht verzweifelt aus und kann Nico kaum noch halten. Ich versuche es immer wieder und irgendwann klappt es dann auch. Ich jedoch war schon wieder vollkommen entnervt. Wie war das noch mal mit der Gelassenheit, die ich mir bei dem Afrikaner am Flughafen abgucken wollte? Grrrrrr! – Einfacher gesagt, als getan….

Auf geht´s zum Wasser. Eigentlich wollten wir nur mal die Füße reinhalten, aber Nico reißt sich los und läßt sich bauchlängs (gibt´s dieses Wort überhaupt?) in Wasser fallen. Der ganze kleine Mann ist naß! Das geht so bis es dunkel ist, aber da das Wasser sehr warm ist, brauchen wir uns keine großen Sorgen wegen Erkältung und Co machen. Nur die Klimaanlagen sind in diesem Zustand unsere Feinde. Da auch wir gut durchnässt sind geht’s wieder zurück ins Hotel.

Wo war noch mal meine Yacht?

Mit frischen Sachen geht es danach zur Marina Mall. Wir hatten eh nicht vor, einen klassischen Touri-Besuch mit Sehenswürdigkeit hier, Sehenswürdigkeit dort usw. zu machen. Wichtig war uns ein gewisser Tapetenwechsel. “Ausspannen” – so gut, wie das eben mit diesem kleinen Energiebündel eben geht. Also Malls anschauen (es gibt auch vieles für Kinder), am Meer sein, staunen, essen…

Blick vom Parkdeck der Dubai Mall: Röhren, die zur Metro führen (ca. 1km!) und im Hintergrund der Highway

Gotham City

Dubai ist erstaunlich: faszinierend und abstoßend zugleich. Diese vielen modernen Monumentalbauten, künstlich angelegte Natur und versiegelte Oberfläche erzeugt eine eigenartige Stimmung. Die Strassenschluchten erinnern mich auch ein Stück weit an Batman´s Gotham City – nur ohne die Kriminalität. In der Tat gehören die Emirate zu den sichersten Ländern der Welt. Zugleich auch zu den weltweiten Schmelztiegeln der Kulturen. Nur 15% der Bewohner sind einheimische Emiratis. Diese sieht man kaum. Das Strassenbild wird geprägt von Expats des indischen Subkontinents und Asiaten, z.B. aus den Philipinen. Dementsprechend findet man auch Konsumgüter aus aller Herren Länder. Auch in Dingen, die die Religion betreffen gibt es weitreichende Freiheiten, aber die größten Anbetungsstätten scheinen die Malls zu sein. Der Konsumwahn findet sich hier in seinen extremsten Auswüchsen.

Interessant ist es allemal und wir geniessen die Tage und das Sonderbare, aber hier leben möchten wir nicht. Alles ist zu künstlich für unseren Geschmack.

Kontrast: Jumairah Moschee

An zwei Tagen schaffen wir es aber immerhin auch mal in die Natur zu kommen. Keine 50 km vom Stadtzentrum entfernt steht man in der Wüste. Dazu muss man aber erst ausgedehnte Industriegebiete am Stadtrand hinter sich gebracht haben. Weiter Richtung Osten erstreckt sich das wunderschöne Hajjar-Gebirge, das wir ja schon von unseren Reisen im Oman her kennen. Es zieht sich bis rauf zur Strasse von Hormuz, der Engstelle am “Eingang” zum Persischen Golf. Die Emirate haben recht wenig Anteil an diesem Gebirge, aber doch sehr schöne Ecken aufzuweisen.

Im Hajjar-Gebirge

Wir schaffen es nur einen kleinen Teil zu sehen und verschnaufen in einer kleinen Oase zwischen Felswänden. Wir sind die einzigen und Nico kann in dem langsam fließenden Gewässer wieder einmal ausgiebig planschen und versuchen die Fische zu fangen.

The Frame

The Frame

Am Abend geht es zu einem nicht weniger spektalurären Bauwerk, das eigentlich gar keine Gebäude ist: The Frame. Einem Bilderrahmen ohne Bild nachtempfunden, erhebt es sich 150m aus der Ebene. Im Rahmen befindet sich jeweils ein Fahrstuhl, der die Besucher in Windeseile nach oben befördert. Oben angekommen wird man vom Personal über die Höhe, die Aussicht und den gläsernen Boden in der Mitte informiert – mit der Bitte: “Nicht auf dem Glas springen!”

The Frame…

Und, was glaubt Ihr, was Nico als erstes macht? Richtig: auf dem Glasboden herumhopsen! Also wird der “Drache ” eingefangen und erst jetzt können wir uns dem Ausblick zuwenden. Da es dunkel ist, kann man die vielen unzähligen Lichter bestaunen, aber der Glasbodenausblick wäre bei Helligkeit wahrscheinlich noch spektakulärer gewesen.

Futuristische Lichinstallationen innen spiegeln sich in den Fensterscheiben und machen ein schönes Foto von Dubai fast unmöglich. Trotzdem ist es ein gelungener und aufregender Abschluss des Tages.

Ausblick aus 150 m Höhe auf Dubai

Emirat Sharjah الشارقة

Einen kleinen Eindruck von Dubai haben wir jetzt bekommen, aber wie sieht es in den anderen Emiraten aus, z.B. im angrenzenden Sharjah?

Schon vom Strassenbild her merkt man schnell, dass man nicht mehr in Dubai ist. Die Gebäude sind niedriger und z.T. sogar normal! Einzig das verwirrende Strassensystem setzt sich fort und wir kämpfen uns durch den Nachmittagsverkehr. Wir parken das Auto in der Nähe der Altstadt. Wir finden liebevoll restaurierte Häuser der alten Bewohner vor, aber leider nichts Lebendiges. Eher einem Museum gleicht der kleine Komplex. Dahinter eine kleine Festung. Die umgebenden Häuserblocks erscheinen mir nahezu schäbig, aber das ist nur mein Eindruck. Umso schöner die zentrale Moschee und der Markthallenkomplex.

Festung in Sharjah

Sharjah ist ein kulturelles Zentrum der Emirate. Hier läuft es etwas anders. Im Gegensatz zu den anderen Emiraten ist hier Alkohol selbst in Hotels nicht gestattet. Vielleicht geht es auch deswegen etwas geruhsamer zu als im verrückten Dubai nebenan. Im Gegensatz zu diesem kann Sharjah auf eine 5000 Jahre alte Besiedelung zurückblicken und als in Dubai nur Fischer lebten, war Sharjah bereits eine wohlhabende Stadt. Zwei Universitäten gibt es hier. Trotzdem steht das Emirat wirtschaftlich noch im Schatten der Nachbarmetropole.

King Faizal Moschee in Sharjah

Die Zeit verfliegt. Immerhin schaffen wir es vor unserem Weiterflug noch einmal den Sonnenuntergang in der Wüste ungestört zu geniessen. Mit Wasser und Chips sitzen wir auf einer Düne unweit der Strasse. Ich habe dieses Mal keine Lust darauf, die Luft aus den Reifen zu lassen und weit querfeldein zu gurken, zumal ich die Gegend nicht kenne. Nico freut sich über den Sand und die Chips.

Noch sitzen wir hier oben und lassen uns den warmen Wind um die Nase wehen, morgen schon geht es weiter nach Bahrain. Wir freuen uns, unsere Freunde endlich wieder zu sehen!

Mehr Bilder zu Dubai/VAE: https://docmatti.com/?page_id=3321

Wiedersehen in Bahrain

Am nächsten Vormittag geht es wieder zum Flughafen. Mietwagen abgeben, Gepäck aufgeben etc. Endlich ist der langersehnte Moment da: es geht nach Bahrain. Zwei Jahre ist es her, dass wir das letzte Mal da waren. Was wird sich verändert haben? Wir sind gespannt!

Aussicht über den Dubai Creek

In Bahrain angekommen werden wir herzlichst von Verena und dem kleinen Yousha empfangen. Das Gepäck wird verstaut zusammen geht es erst mal zum Mittagessen in ein kleines sehr gemütliches Bahrainisches Restaurant in einem unscheinbaren Haus. Wir sind die einzigen Gäste in der “family section” des Restaurants. Es ist ruhig, leise Koran-Rezitationen ertönen aus den Lautsprechern. Hinter einer Trennwand hat ein lokaler Künstler sein Atelier eingerichtet. Sehen tuen wir den Meister nicht, aber seine Werke strahlen Anmut aus und ziehen den Betrachter in ihren Bann.

In Bahrain gibt es viele liebevoll gestaltete Cafés

Nach einem wunderbaren Essen geht’s weiter durch Bahrain. Auf der Fahrt entdecken wir Vieles, was wir von früher noch kennen, aber auch Neues. Bahrain ist bunter geworden, grüner. Neue Bepflanzungen lassen die Stadt noch einladender erscheinen. Es scheint sauberer geworden zu sein und die Menschen fahren vorsichtiger Auto. Die Strafen sind drakonisch erhöht worden.

Nicht nur, dass wir bei unseren Freunden umsonst Unterschlupf bekommen, sie organisieren und auch noch einen Wagen, mit dem wir die ganze Zeit unabhängig uns flexibel unterwegs sein können!

Vom wahren Reichtum

Am Nachmittag fahren wir zum Friedhof. Auf einem sandigen Boden haben wir 2015 unser erstes Kind – Daniel – begraben. Vor seiner Geburt, am Ende der Schwangerschaft, hatte er nicht mehr gelebt. Emotionsgeladen und mit Tränen in den Augen stehen wir am Grab streichen über die Glasfläche des Schildes. Neben ihm sind mehr kleine Kindergräber dazu gekommen. Die Katzen stromern auch noch wie damals um die kleinen Grabsteine herum. Natürlich ist die Erinnerung schmerzlich, aber auch angereichert mit Stolz und Glück: ihn gehabt und auch bereits geliebt zu haben – wenn auch nur kurz. Dazu kommt aber auch die Dankbarkeit und das Glücksgefühl durch unsere Freunde, die uns damals so beigestanden haben! Nie werden wir vergessen, wie Ibrahim uns geholfen hat, dass wir Daniel beerdigen konnten – oder auch mein geschätzter Kollege Heiner – der mir bei finanzieller Knappheit – seine Kreditkarte samt PIN in die Hand drückte und sagte “Nimm, so viel wie Du brauchst!”, damit ich die Rechnungen für Olgas Krankenhausaufenthalt bezahlen konnte.

All diese Aspekte geben uns in diesem Moment das Gefühl des Lebens, des Glücks, des Stolzes und der Dankbarkeit! Ein Begriff, der dies alles vielleicht zusammenfasst: Reichtum. Nicht materieller Art, sondern emotional, zwischenmenschlich… Danke!

Die Tage vergehen wieder einmal viel zu schnell. Alle Freunde können wir nicht treffen, aber einige. Bei allen, die wir treffen, überwiegt ein ganz bestimmtes Gefühl: Wir sind uns immer noch so vertraut, als ob wir uns zuletzt gestern gesehen hätten. Nicht so Dr. Steffen, einem unser Wirbelsäulenchirurgen, dem ich 2 Jahre lang assistierte, sagte bei der Begrüßung “Ach Mensch, hallo Michael!” – Steffen ! Ich heiße Martin! Nicht Michael!!! Und wir haben 2 Jahre lang zusammen stundenlang (einmal waren es gar 11 Stunden) am OP-Tisch gestanden!!! Aber böse sein kann ich ihm nicht, es amüsiert mich aufrichtig. Wir hatten eine tolle Zeit!

Profi am Werk…

Dr. Nico (der “große Nico”, nicht unser kleiner Nico) schließt und herzlich wie immer in die Arme. Zusammen spielt er mit dem kleinen Nico Fussball, nachdem dieser den Badminton-Schläger geschrottet hat. Anschließend geht es zum Billard-Tisch. Meine schlimmsten Befürchtungen bleiben Phantasie: alles bleibt heil.

Das Krankenhaus, in dem ich damals arbeitete steht natürlich auch auf der Besuchsliste. Hände werden geschüttelt, umarmt, Nico geknuddelt… schön!

Und Baden ist natürlich angesagt. Bei immer noch über 35°C im Schatten ist es ein ewiger Kampf mit Nico, dass er nicht zu lange im Wasser -und damit in der Sonne- bleibt. Immerhin soll er gesund bleiben und nicht als Grillhändl nach Hause kommen.

Am letzten Tag noch ein Highlight: ein Treffen von viele alten und neuen Kollegen des Krankenhauses in einer Mall zum Brunch. Auch wenn einige fehlten, weil sie z.B. schon nicht mehr in Bahrain leben, ist es unvergesslich, so viele auf einmal zu treffen. Es ist unbeschreiblich! Später erfahren wir, dass der eine oder andere extra für uns zum Treffen gekommen war. Wir können es kaum glauben, auch weil wir uns selbst nicht so wichtig nehmen. Aber es berührt uns sehr.

Nach diesen Sätzen wird sich die Frage wohl erübrigen, auf welchen Ort sich unser “Heimweh” bezieht…

Wegen unserer zurückliegenden Reisen nur ein paar Eindrück von Bahrain:

Portugiesisches Fort Bahrain
Alte Feestungsanlagen
Blick Richtung Stadtzentrum
Daniels Grab
So kann man auch Rohre transportieren
Kinderbespassung am Strand
Juffair – Stadtbezirk, wo wir damals zuerst gewohnt haben

Denkbares zum Jahresende

Ich bin müde. Kaputt. Fertig. An Tagen wie diesen will man morgens gar nicht erst aufstehen. Ich habe Urlaub  – noch ein Grund mehr, um liegen zu bleiben, wenn da nicht dieser kleine laufende Wecker auf zwei kleinen Beinchen wäre. Nico klettert inzwischen gerne aus dem Gitterbettchen. Stolz steht er dann in unserem Zimmer und feixt, wie toll er das Hindernis überwunden hat. Olga muss sich schnell fertig machen, geht zur Schule. Sie macht seit einigen Monaten eine Ausbildung zur Physiotherapeutin, etwas was sie schon immer machen wollte.

Ich schäle mich aus dem Bett, im Rücken steif wie ein alter Mann. Aber es nutzt nichts. Eine Windel sollte man wechseln, bevor sie explodiert und die Reste an Decke und Wänden kleben. Olga ich kämpfen uns zusammen durch den brutalen Tagesbeginn. Das kleine Männchen wird fertiggemacht, wir kämpfen uns durchs Frühstück und das anschliessende Zähneputzen. Immerhin wollen ich nicht, dass er vorschnell eine regelmäßige Bekanntschaft mit dem Zahnarzt macht. Das Anziehen ist dann der nächste Akt in diesem Kräftezehrenden Drama. Er will die Jacke nicht anziehen, der eine Winterstiefel streift beim Vorbeifliegen mein rechtes Ohr und das andere Trommelfell wird durch lautes Geschrei fast weggepustet. Warum können Kinder denn nicht einfach im Ultraschallwellenbereich schreien??? Nach einigem Herumwälzen und beherztem Durchgreifen, schaffen wir es dennoch.

Die Tür geht auf, ich will mir die Schuhe anziehen, da rauscht Maggy – unsere schwarze Katze – raus in den Hausflur, eine Etage nach oben. Dort stehen die Blumen unseres Nachbarn zum Überwintern im Flur. Genüßlich und zielstrebig beginnt sie daran herumzuknabbern wie eine Ziege. Ich könnte ausrasten, aber die Kraft fehlt mir. Also Katze einfangen und dann weiter. Nico steht grinsend wie ein kleines Engelchen an der Treppe – der Herr möchte nach unten getragen werden. Na klar, was denn sonst. Und ich mit meinem Rücken…. Aber wenn wir jetzt noch diskutieren, dauerts noch länger. So geht das weiter, bis er endlich in der Kita angekommen ist. Und abends wieder anders herum. So ist das eben. Mit 2,5 Jahren geht´s rund, einer dreht immer am Rad.

Seit dem Sommer quälen wir uns allerdings mit unseren eigenen Wehwehchen. Ich hab bereits zwei Mal Antibiotika wegen Nasennebenhöhlenentzündungen schlucken müssen, sogar ein CT habe ich bekommen. Zwischendurch auch wiederholt eine Kehlkopfentzündung, wo mir nicht nur die Stimme, sondern auch die Luft etwas wegblieb. Also Kortison noch dazu geschluckt. Fast zeitgleich hatte Olga ähnliche Probleme. Nico hat`s gefreut, er konnte alleine schreien 😉

Und dann noch der Rücken: Vor ca. 2-3 Monaten habe ich mich irgendwie verhoben. Plötzlich ging nix mehr so richtig. Das ISG schmerzte und es dauerte Wochen, bis es endlich besser ging. Trotzdem merke ich immer wieder Beschwerden in diesem Bereich. Nico immer wieder auch ungünstig zu heben, macht es auch nicht besser.  Um es kurz zu machen: Ihr seht, ich werde alt!

Aber derlei Dinge nicht genug. Wenn der Chef auf Arbeit nicht versteht, warum man mit Fieber zu Hause ist und “krank macht”, dann habe ich dafür auch keine Worte mehr.

Wat mutt dat mutt! – Wirklich?

Jetzt sitze ich im Cafe und lasse die Situation auf mich wirken. Meine Nebenhöhlenentzündung klingt nur langsam ab und wird durch meine Hausstauballergie immer wieder etwas unterhalten. Antihistaminika helfen da. Ich möchte einfach wieder fit sein und Sport machen können! Das Leben spüren und nicht nur dessen Vergänglichkeit.

Und jetzt  noch angeschlagen im Urlaub. Warum im Dezember Urlaub? Nun ja, ich habe gemerkt, dass ich einfach eine Auszeit brauchte. Zum Nachdenken. Zum Planen. Nächstes Jahr stehen einige Veränderungen an: Facharztprüfung, neue Stelle suchen, dann wollen wir spätestens im Herbst wieder ein paar Tage in Bahrain verbringen,…

Jetzt mit einer heißen Schokolade in der Hand beginne ich den Morgen zu genießen. Ich beobachte die Leute, die das Cafe füllen. Kohlenhydratbomben und Heißgetränke gehen über die Theke, formelle und mitunter auch ehrliche Nettigkeiten werden ausgetauscht.

Ich werfe einen Blick auf meine Tasche, in der ein Notizzettel mit Erinnerungen an all die Sachen, die ich in dieser Woche machen soll, steckt. So viele Sachen sollte ich schon längst erledigt haben und warten sehnsüchtig auf meine Aufmerksamkeit. Ich habe keine Lust ihn herauszuholen. Ich will nicht. Ich habe keine Kraft. Ich bin müde. Ich will  einfach nicht! Der Alltag ist übersät mit Pflichten und Zwängen. Dies und Das und Jenes. Alles Dinge, die sein “müssen“, die “zum Leben” gehören, wie man sagt.

Ich werde philosophisch in meinen Gedanken, jetzt, da ich gerade hier sitze und den Augenblick genieße. Besser gesagt: ich lebe diesen Augenblick, diesen  unscheinbaren Moment und er kommt mir hundertmal wichtiger vor, als all die “wichtigen” Dinge, die “doch das Leben” ausmachen. Warum? Weil ich gerade ganz bei  mir bin.

Müssen, müssen, müssen, immer nur müssen. Um jemand zu sein, etwas zu schaffen, darstellen zu können, oder “ein gutes Leben” zu haben. Was ist ein gutes Leben? Arbeiten um zu leben, aber eigentlich lebt man nur für die Arbeit. Das habe ich ja schon im Krankenhaus immer wieder erlebt. “Ja, aber sie  bekommen ja dies und das und jenes gezahlt…”  Immer wieder wird das finanzielle Argument ins Feld geführt. Wenn man dieses Geschäft eingeht “zahlt” man jedoch drauf: die Kraft, Zeit, das psychische Wohlergehen und die sozialen Kontakte, die man dafür opfert sind zu wertvoll. So viel kann man gar nicht gezahlt bekommen! Und: kein Geld der Welt kann diese Dinge ersetzen oder kompensieren! Man verausgabt sich im Hamsterrad der Gesellschaft. Der Versuch, menschliche, psychische Bedürfnisse durch Geld und Konsum zu befriedigen, scheitert. Es ist Selbstbetrug.

Natürlich ist es das nur dann, wenn man nicht gelernt bzw. geschafft hat, Grenzen zu ziehen. Und das können erfahrungsgemäß nur die allerwenigsten Menschen, egal in welcher Branche.

“Kacke Attacke!” – Mitten im Leben

Meine Gedanken schweifen ab, als ich ein kleines Mädchen sehe, das genauso herumzetert wie Nico heute Morgen. Was in diesen kleinen Köpfchen so vor sich gehen mag? Wie wenig meine Gedanken gerade von Belang sind für solche kleinen Würmchen. Die sind voll und ganz im Hier und Jetzt. Gelebte Achtsamkeit könnte man sagen. Die brauchen keine Anleitung dazu, wir schon. Genausowenig die Ehrlichkeit: da wird alles herausposaunt, was einem gerade durch den Kopf geht. Nico zum Beispiel: gestern saß er auf seinem Stühlchen, hob plötzlich den Arm und schrie “Kacke, Attacke!!!” und amüsierte sich köstlich.

20181210_081521.jpg

“Kacke Attacke!” – Kein Autonomer vom schwarzen Block, einfach Nico…

Ich muss grinsen bei diesem Gedanken und dann tauchen wieder  die kräftezehrenden Bilder von heute morgen auf. “Mitten im Leben” kann man sagen. Mir fällt immer wieder auf, wie sensibel diese Kleinen sind. Sie nehmen alles wahr, auf und  können vieles noch nicht richtig deuten. Sie sind empfindsam, zerbrechlich, aber auch stark und manchmal auch brutal. Momentan sind wir ständig dabei, Nico in seine Schranken zu weisen: “Nein, der Teller wird nicht durch die Küche geworfen!” oder “Mama wird nicht gehauen!” sind nur zwei von unzähligen Beispielen. Natürlich machen diese Dinge Sinn, zweifelsohne, aber wir beschneiden auch viel von der Spontanität und einer gewissen (manchmal nervigen) Ehrlichkeit dieses kleinen Menschen, wenn wir ständig sagen “mach Dies oder Das” oder “Laß Das und Jenes!”.

In dem von mir kürzlich absolvierten “Kurs der psychosomatischen Grundversorgung” berichtete ein Psychoanalytiker über das Beispiel eines Kindes, das in der Mitte des 20. Jahrhunderts als Tochter einer Apothekerin aufgewachsen war. Als das Mädchen 1-3 Jahre alt war, nahm es die Mutter immer mit in die Apotheke zur Arbeit. Dort breitete sie eine kleine Decke aus, auf der sie das Mädchen setzte. Es durfte sich aber keineswegs von der Decke wegbewegen, nichts anfassen nicht schreien, nicht pupsen, gar nichts. Schließlich saß die Kleine stundenlang nur noch still auf der Decke und wippte von einer Seite auf die andere, in sich gekehrt. Später entwickelte sie eine Zwangserkrankung, so der Psychotherapeut. Das Mädchen wurde quasi aller spontaner altersgemäßer Bewegungen geraubt, Impulse massiv unterdrückt und dem Zwang so der Weg geebnet.

Firlefanz

Natürlich entwickelt nicht jeder eine Zwangserkrankung, aber es rüttelte mich etwas wach, da ich Nico schon sehr in die Schranken wies, wenn er zu sehr plärrte, zu viel irgendwo rumpopelte usw. Aber: Was ist zu viel? In erster Linie war es mir zu viel, nicht ihm. Ich bin eher nur nach meinen Bedürfnissen gegangen, weil ich müde war und zur Arbeit musste, oder Ähnliches. Ich hatte “keine Nerven für Firlefanz“, weil meine Energie und Kraft von der Arbeit gebunden waren… Für ihn war es aber irgendwie ja kein “Firlefanz“, gemessen an seiner Entwicklung eben.

Bei dem Gedanken, daß Nico ja auch von mir lernt, wie man mit Stress umgeht, wird mir fast übel. In diesem Moment also, wo ich gestresst war und so reagierte wie ich eben reagierte, zeigte ich ihm unbeabsichtigt meinen Weg, Stress zu verarbeiten. Und diesen Weg versuche ich eigentlich zu ändern, weil er mir nicht gut tut.

Also, wie soll ich mein Kind erziehen? Es soll ein “anständiger”, “gesellschafts-konformer Bürger” werden, aber er soll doch auch die Freiheiten haben, die er braucht, um sich zu entfalten, oder?

Und trotzdem muss ich ihn schon hier in gesellschaftliche Normen pressen, die ja auch vernünftig sind. Er soll ja auch ein Mitglied der Gesellschaft werden und kein “störendes Randgruppenelement”, kein Aussenseiter. Er “soll Etwas werden“, vor allem aber soll er glücklich werden. Und das ist natürlich an gewisse Umgangsstandards gebunden – aber auch an Entwicklungsfreiräume, die uns vielleicht unsinnig erscheinen.

“Eben mal” das Kind erziehen – WICHTIGER als der Job

Also bin ich in meiner Elternrolle gefragt, ganz klar. Das erwarte ich auch von jedem anderen Vater. Trotzdem steht dies in einem (immer noch) ganz starken Kontrast zum gelebten gesellschaftlichen Ansehen und Wertschätzung.  Es wird verlangt, dass Erziehung “nebenbei” stattfindet. Wenn der Chef komisch guckt, weil Mutti oder Vati beim kranken Kind zu Hause sind, dann ist das nur ein Beispiel. Andere sagen ganz ehrlich, sie stellen keine jungen Mütter ein – und das im 21. Jahrhundert!

Die Hauptpflicht ist die Erfüllung der Arbeitsaufgaben, was man mit der Familie macht ist egal, Hauptsache diese ist untergeordnet!  Wir erleben es bereits mit einem Kind, wieviel Aufmerksamkeit es braucht, wie oft man sich die Zeit nehmen muss, Geduld aufbringen muss, um ihm die Welt zu erklären, die so viel Schönes, aber auch Schmerzhaftes bereithält. Es ist einfach schwierig für solche kleinen Zweibeiner und unsere Hauptaufgabe ist nun mal, bei ihnen zu sein und ihnen dabei zu helfen groß zu werden. Und das ist wichtiger als der Job und irgendwelche anderen Verpflichtungen!

Was passiert, wenn man die Familie unterordnet sehen wir ja: Kindergarten und vor allem Schule müssen das nachholen, was Eltern nicht gemacht oder geschafft haben: eine vernünftige Sozialisierung eines jungen Menschen, die zu Hause anfängt. Interpersonelle Kommunikation, das Erleben von Gefühlen und der Umgang mit ihnen. Und das braucht Zeit! Aufmerksamkeit! Geduld! Und die gibt es in unserem “modernen” Leben nur noch in homöopathischen Dosen.

Spätestens aber ab der Schulzeit beginnt aber, wie ich meine, etwas Verhängnisvolles: Indem wir im Laufe der Jahre immer strenger in unserer Leistung bewertet werden und wir eigentlich nur noch über die erbrachte Leistung als Bewertungsmaßstab wahrgenommen werden, lernen wir, ausschließlich über unsere Leistung gewertschätzt zu werden. Mathe, Physik, Englisch, Sport usw., das sind alles nur schmale Bereiche des menschlichen Lebens, gemessen an der Vielzahl von Qualitäten und Fähigkeiten eines Menschen, der Persönlichkeit. Ihn faktisch also nur darüber eine de facto alleinige Wertschätzung zukommen zu lassen, kann doch nur irgendwie unfair sein. Wer benotet schon “Empathie” oder gar “Nettsein”? 😉

Besonders durch immer steigende Ansprüche an Schüler und Studenten vergrößern wir auch die Möglichkeit, dass Menschen diesen nicht gerecht werden können und eine entsprechende Ablehnung ihrer Person empfinden. Der Absturz oder die “verbockte Weiterentwicklung” ist abzusehen. Würdevolles Selbstverständnis und ebensolcher Umgang mit anderen lassen sich nicht anhand von PISA-Studien messen.

Abgestellt auf dem Schrottplatz der menschlichen Individuen?

Auf der anderen Seite finden wir die eigentlich erfolgreichen Menschen der Student, der seit x-Semestern nicht mehr “weiterkommt” mit seiner Bachelor-Arbeit, der darüber so verzweifelt ist, dass er depressiv vor mir sitzt und an ein Ende des Lebens denkt. Oder der Abteilungsleiter, der “ausgebrannt” ist, der aber zu Hause noch die dicken Akten von der Arbeit zu liegen hat und sich Gedanken um die Reaktionen des Chefs macht.  Beide definieren sich über ihre Arbeit, haben Ansprüche, die in keinem Verhältnis zu ihren Ressourcen und menschlichen Eigenschaften stehen. Auch sie haben es “erfolgreich” gelernt, sich anscheinend hauptsächlich über ihre Leistung zu definieren.

“Pass auf Dich auf!”

Und jetzt? Abgehängt, ausrangiert, erledigt, nutzlos? “Notschlachtung“? Das trifft übrigens auch auf all die älteren Arbeitnehmer zu, auch wenn sie noch “in Kraft und Saft” stehen. Der “Leistungs-TÜV” wartet nicht und wird mit jedem Lebensjahr immer schärfer… Die “Ausrangierten” –  das ist auch so eine Parallelgesellschaft. Und bedroht deren Ausgrenzung und “Kranksein/Krankgemacht-Sein” uns nicht mehr, als die Migrantenfrage?

Was sie bei all dem Studium und Arbeiten nicht gelernt haben: auf sich selber aufzupassen. Was tut mir gut, was nicht? Das lernt man leider nicht auf der Schule und auch nicht auf der Uni, dabei wäre es doch eines der wichtigsten und auch praktischten Fächer überhaupt.

Um mal zum “greifbaren Körperlichen” zurückzukommen. Erst kürzlich kam ein Patient zu mir, etwa Ende 50. Leicht untersetzt, graue Haare, Hemd, Jeans. Dicke Brillengläser machten seine Augen beim Blick durch die Brille ganz klein, so wie die Knopfaugen von Nicos Teddybär. Das Gesicht gerötet, leicht hektisch, ungeduldig wirkend, gefühlt “Typ Choleriker“. Er habe vor kurzem immer wieder bei einem Bekannten den Blutdruck gemessen, und dieser sei zu hoch gewesen. “Das hatte ich doch noch nie!”, sagte er entrüstet, ganz als ob er enttäuscht über sich selbst wäre. Er sei in der Manager-Etage eines großen Unternehmens, hätte Führungsaufgaben und Personalverantwortung. Obwohl ich die Antwort schon absehen konnte, fragte ich, ob er denn viel Stress hätte. Ich hatte eigentlich ein “Ja, natürlich! Was für eine Frage!” erwartet. Statt dessen sagte er mit funkelnden Augen und mit leicht überheblicher Stimme: “Stress ist eine Krankheit der Leistungsschwachen!” Er sei ein Machertyp, keiner, der sich mit Stress abgebe…

“Stress ist eine Krankheit der Leistungsschwachen”

Dieser eine Satz war frappierend ehrlich. Er sagte so viel aus über ihn, mehr als über die anscheinend verachteten “Anderen”. Ich muß ehrlich gestehen, dass ich selten so glücklich darüber war, zu den Leistungsschwachen zu gehören…

Um es einmal ganz simpel auszudrücken: Egal ob Student, Abteilungsleiter oder “ausrangierter” Schüler, wir  “leisten” es uns, zunächst massenhaft kranke Menschen zu “produzieren” um diese dann “teuer zu therapieren“.  Macht das Sinn? Ist das der Sinn von Nachhaltigkeit, von der ja so viel gesprochen wird? Wenn wir nicht gelernt haben, nachhaltig mit uns selber umzugehen, wie soll das dann bloss mit der Natur funktionieren? Nicht, dass ich das für unlösbar halte, aber für überlegenswert…

Hasta la Vista, Baby!

Es ist Abend. Nico hat zuende gespielt, gegessen (manchmal das gleiche wie Spielen), Zähne geputzt (was für ein Kraftakt!), Windel gewechselt, Schlafanzug angezogen, Schlafsack drüber. Heute hat Fiona´s Mama Geburtstag. Fiona ist Nicos Babysitterin und Nico mag sie sehr. Manchmal ruft er im Hausflur nach ihr oder fragt “Kommt heute Fiona?” Wir klopfen, Glückwünsche werden ausgetauscht und nach einem kurzen Gespräch soll es eigentlich wieder nach oben gehen. Fiona kriegt von Nico ein Küsschen, die Mama, sogar der Papa von Fiona und Nico wundert sich noch über die kratzenden Bartstoppeln in Helmuts Gesicht und muß gleich mal bei mir nachprüfen, ob das so richtig ist. Doch Fiona hat Besuch: zwei junge Mädchen kommen aus ihrem Zimmer und wollen gehen. Klar, Nico knutscht die beiden auch noch ab! Er freut sich, im Mittelpunkt zu stehen und so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Auf dem Treppenabsatz wirft er “seiner” Fiona noch ein Luftküsschen zu und plötzlich ruft er “Hasta la Vista, Baby!” Alle lachen und er gluckst vor Freude. Natürlich hatte ich das vorher aus Spass zu ihm gesagt und er freut sich über neue Sprüche. Beim Ins-Bettchen-Legen, verrate ich ihm einen neuen Spruch: “Good night, Baby!” Er grinst und flüstert “Good nacht, Baby“…

20181209_185700-1.jpg

Geschafft: Im Heierchen mit Hund und Schlange