Abrechnung Teil 2

Nachdem ich in meinem letzten Blogbeitrag etwas allgemein unsere Erlebnisse geschildert habe, so will ich mich jetzt mal langsam an die spannenderen Themen heranwagen.

Doch bevor ich loslege noch eine Bemerkung: Wie Ihr sicherlich gemerkt habt, unterlaufen mir immer wieder mal ein paar Rechtschreibfehler und eventuell ist mancher Satz stilistisch wert, zweimal gelesen zu werden (damit man ihn versteht).  Wenn man eine Weile nicht mehr in Deutschland lebt und hauptsächlich in anderen Sprachen kommuniziert und schreibt, so verändern sich manchmal etwas die Ausdrucksweisen, die Satzzeichen, Groß- und Kleinschreibung uswIch bitte Nachsicht walten zu lassen…

 

„Die Hölle für Patienten, das Paradis für Ärzte“

Beginnen wir mit dem Gesundheitswesen. Als ich das erste Mal hörte, dass Schweden ein schlecht(er)es Gesundheitssystem hat, wollte ich es gar nicht recht glauben. Ein reiches skandinavisches Land mit nur wenigen Einwohnern (9 Mio) mit einer schlechten Versorgung? Als nächstes hörte ich Aussagen, wie „Schweden – die Hölle für Patienten, das Paradis für Ärzte“. Aha, na mir als Arzt gefällt der zweite Teil des Satzes ganz gut, auch wenn mir die Patienten leid tun. Aber, so ganz stimmt das alles nicht, leider und auch zum Glück. Es gibt sicherlich schlimmere Orte für Patienten, aber auch bessere für Ärzte. Während in den vergangenen 10-15 Jahren die skandinavischen Länder offensiv rekrutiert haben, so sind heutzutage Angebote med bezahltem Sprachkurs, Hilfe bei Unterkunft, Umzugskostenübernahme, Kindertagesstätte usw, selten geworden. Einzig das Land Dalarna bietet noch solche Angebote, sofern ich weiss. In den letzten Jahren hat sich der Markt etwas gesättigt, auch wenn es nach wie  vor noch Bedarf, vor allem für Fachärzte aller Art, besonders Allgemeinmediziner gibt. Das ist die Folge eines, wie ich es nenne, „akademischen Migrantenstadels“, einer Bewegung von Wirtschaftsflüchtlingen in weiss. Während die Ost- und Südosteuropäer nach Deutschland strömen und in manchen Krankenhäusern deutschsprachige Ärzte Mangelware sind, strömen wir nach Norden, z.B. nach Schweden. Die schwedischen Ärzte (und Krankenschwestern) hecheln dem richtig großen Geld im Nachbarland Norwegen hinterher, das nach wie vor extrem gut bezahlt. Es gibt Krankenschwestern, die für 2 Wochen in Norwegen arbeiten und fast genauso viel auf das Konto überwiesen bekommen, wie für 4 Wochen in Schweden! Und das „Beste“: die Norweger wissen den „Fleiß“ der Schweden zu schätzen, sagte man mir… In unserem Sprachkurs löste das ein großes Gelächter aus…

Während das Nachbarland eigentlich nur fertige, erfahrene Fachärzte nimmt, kann man in Schweden eine Stelle als ST-läkare (specialist-tjänstegöring = in Ausbildung zum Spezialisten = Facharzt, läkare = Arzt) ergattern, was allerdings in den meisten Bereichen nicht einfach ist. Allein in der Allgemeinmedizin bekommt man die Stellen hinterher geworfen, von Skåne im Süden bis Kiruna im hohen Norden.

Wie dieser Marktplatz, so liegt vieles in Schweden scheinbar im Dunkeln und im Nebel

Wie dieser Marktplatz in Falun, so liegt vieles in Schweden scheinbar im Dunkeln und im Nebel

Das schwedische System wurde inzwischen dahingehend verändert, dass heutzutage eine Weiterbildung fest an eine ST-Stelle gebunden ist. Während man in Deutschland ja nur noch z.B. 2-Jahresverträge bekommt und dann ggf. das Krankenhaus wechseln muss, ist man mit seiner ST-Stelle an den Arbeitgeber (fast immer staatlich) gebunden und durchläuft hier die gesamte Ausbildung. Das funktioniert solange hervorragend, solange man zufrieden ist. Möchte oder muss man den Ort wechseln, so beginnt (wieder) der harte Kampf um eine ST-Stelle. Oder man begnügt sich mit einer „Vikariat“-Stelle. Früher lief das meistens so ab, und die angehenden Fachärzte suchten sich mit meheren Vikariat-Stellen ihre Facharztausbildung zusammen. Heutzutage ist also der Wechsel schwieriger, zumal eine Vikariat-Stelle meistens auf ein halbes oder ganzes Jahr begrenzt ist.

 

Nie wieder Nutella

Am Anfang fand ich es lustig: die schwedischen Ärzte haben 5-7 Patienten am Tag und fühlen sich geschlaucht. LoL!  In Deutschland hat man mitunter das 10-fache! Muss doch ganz entspannt sein, oder? Und warum will keiner Allgemeinmedizin machen? Warum mach ich das? Wer gerne mit Menschen zu tun hat, nicht besonders prestigeorientiert ist, sich gerne um seine Patienten kümmert und kein Alleswisser über ein mikroskopisch kleines Gebiet werden möchte, der wird Allgemeinmediziner. Hausarzt. Also einer, der über alles nix weiß, während die anderen alles über nix wissen. Soviel zu den bekannten Vorurteilen. In Schweden macht der Allgemeinmediziner weitaus mehr als in Deutschland: Hautbiopsien, Hautexzisonen, Lipomentfernung, Augenuntersuchung inkl. Augendruck und Augenhintergrund, HNO-Grunduntersuchungen, manchmal auch gynäkologische Untersuchungen (was beim Altersdurchschnitt der lokalen Bevölkerung kein Zuckerschlecken ist – Mann, das war lustig ausgedrückt) und auch schmackhafte Rektoskopien. Übrigens: Seitdem letztens ein Patient vergessen hatte sich den Darm mit dem Klistier zu säubern, esse ich kein Nutella mehr. Nur soviel dazu.

 

„Um krank sein zu dürfen, muss man gesund sein“

Hab ich was vergessen? Ach ja, Internist, Neurologe und Psychater darf ich auch spielen, wie auch Gutachter und ein paar andere Sachen auch noch. Man darf, dachte ich immer. Besser trifft es aber: man muss.

Diese breit aufgestellte Fachdisziplin ist weit mehr als die Summe der einzelnen Dinge, und das war es auch was mich reizte. In Wirklichkeit entsteht hier in Schweden diese große Vielfalt an Tätigkeiten durch einen eklatanten Mangel und Fehlinterpretation von Prioritäten und Kompetenzen. Schweden, das Land mit der höchsten Spezialistendichte (auf Einwohner halt bezogen) schafft es nicht eine gut funktionierende Versorgung auf die Beine zu stellen!

Doch schauen wir erst einmal, wie es einem Patienten ergeht: Um einen Arzttermin zu bekommen, muss man erst einmal bei der Vårdcentral anrufen. Dort meldet sich dann (nur auf Schwedisch 😉 ) ein Anrufbeantworter, auf dem man seine Personnummer hinterlassen muss (wenn man sie denn hat 😉 ). Man wird dann von einer Krankenschwester um eine bestimmte Uhrzeit zurückgerufen, die dann einschätzt, ob man einen Arzttermin braucht, oder ob es mit ein paar guten Worten und Hausmittelchen vielleicht reicht. Da es zu wenig Ärzte gibt und entsprechend die Termine knapp sind, stellen die Patienten in der Regel ihre Beschwerden schlimmer dar, als sie wirklich sind. So bekommen sie hoffentlich einen Termin, vielleicht schon in 3-4 Wochen. Geht man selbst zur Rezeption in der Vårdcentralso kann es sein, dass die Dame hinter dem Schalter schon überfordert ist.

Als ich mit meiner Sprachkurskollegin mal zu Vårdcentral hier in Falun gegangen bin, um einen Termin zu vereinbaren, so bekam der junge Mann schon bei unserem bloßen Anblick Schnappatmung. In holprigen Englisch wies er uns immer wieder darauf hin, dass wir anrufen müssten. Wir hingegen versuchten zu erklären, dass wir nix verstehen und dass wir noch keine Personnummer hätten. Naja, das löste sich dann irgendwann.

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Symbole mit wenig Raum für Interpretation

Die Patienten warten also in der Regel wochenlang auf einen Termin  beim Allgemeinarzt, während man das ja in Deutschland eher von Spezialisten gewohnt ist.

Wenn die Patienten dann erst einmal beim Arzt sind, so nutzen sie natürlich die Chance und tragen mehere Anliegen vor. Immerhin weiß man ja nicht, wann man das nächste Mal einen Termin bekommt.

In der Allgemeinmedizin gestaltet sich die Gesprächsführung schwieriger als in anderen Fächern, weil man ja der ist, der für alles da ist. Spezialisten haben oftmals einen konkreten Auftrag mit meistens präzisen Symptombeschreibungen („das Knie, Herr Doktor“). Als allgemeinmedizinisch arbeitender Arzt hat man es meistens jedoch mit vagen Beschreibungen wie Müdigkeit, „mir tut alles weh“ oder gar „ich fühl mich so komisch“ zu tun. Man muss sich da so durchwurschteln, bis man in etwa an den Kern des Problems gelangt ist. Hat der Patient denn wirklich etwas oder ist es in Wirklichkeit nur die erdrückende Einsamkeit? Vor allem die Fragen „Hat der Patient eine gefährliche Erkrankung oder nicht?“ und: „Habe ich für die weitere Detektivarbeit Zeit, oder muss der Patient in den nächsten 2 Wochen durchdiagnostiert sein?“ sind schwer zu beantworten. Zwischen den ganzen „Befindlichkeitsstörungen“ muss man also die „richtigen Patienten“ herausfischen.

Der Spruch „Jeder Hausarzt hat seinen eigenen Friedhof“ trifft das ganz gut, wobei ich nicht weiß, ob die der schwedischen Allgemeinärzte größer sind als die der deutschen…

Ganz im Ernst: Nicht etwa mangelndes Wissen, sondern das schier Unmögliche einen Patienten zu überweisen stellt oft das entscheidende Problem dar! Während in den meisten anderen Ländern „Vielen Dank für die freundliche Überweisung!“ auf dem Antwortschreiben steht, weigern sich schlichtweg die Fachärzte in den Krankenhäusern, Patienten anzunehmen. So reichen starke Magenschmerzen mit Erbrechen und langjährige Einnahme von Schmerzmittel wie Diclofenac (die die Magenschleimhaut angreifen) nicht aus, um zügig eine Magenspiegelung durchzuführen. Nein, es müssen erst „Alarmzeichen“ vorhanden sein… Hä, wie? Also wenn der Patient Blut kotzt, dann darf man mal anfragen???

Auf den abgewiesenen Überweisungen wird auf die Fülle der Überweisungen verwiesen und daß man diese und jene und noch 10 andere Untersuchungen und Therapieversuche unternehmen muß, bevor der Patient akzeptiert wird. Dann kommt er meist auf eine Warteliste.

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Wenigstens hier kümmert sich einer: kostenlose “Gummis” für die Jugend, verteilt (wie passend) von der Hebamme

Wartelisten sind auch so ein tolles Phänomen. Wenn ich z.B. eine Patientin habe, bei der ich eine Herzerkrankung vermute, so kann ich sie nicht einfach zum Ultraschall, Belastungs-EKG oder 24-Stunden-EKG überweisen. Selbst wenn sie dann akzeptiert wird, so muss sie mehere Monate auf die Untersuchung warten! Letztens bekam ich eine Antwort auf eine Überweisung, die meine Kollegin vor etwa einem Jahr abgeschickt hatte. Zudem kommen mitunter dumme Bemerkungen und generell herrscht ein gewisse Abwertung bzgl. der Kompetenz der Allgemeinärzte vor.

Das Problem in der Allgemeinmedizin ist, dass man auf andere Diziplinen mehr angewiesen ist, als die meisten anderen. Während man den Fortgang der Untersuchungen und Therapien dirigieren soll, wird man zeitgleich daran gehindert. Der Allgemeinmediziner (Facharzt) bekommt zwar ein kleinwenig mehr Geld als die anderen Disziplinen, hat aber nicht die Autorität, Prozeduren durchzusetzen, und darf sich anschliessend verantwortlich fühlen für den ausbleibenden Therapieerfolg.

Der bürokratische Aufwand für die „Allgemeinis“  ist erdrückend. Neben der ärztlichen Aufgabe müssen wir auch noch Krankschreibungen ausfüllen, die anders als in Deutschland von der Versicherung genehmigt werden müssen. Also nicht ich als Arzt, sondern die Versicherungsmitarbeiter entschreiden, ob jemand krank ist oder nicht! Besonders frustrierend ist jedoch, dass diese Mitarbeiter keinerlei medizinische Ausbildung genossen haben!!! Man neigt dazu zu hoffen, daß sie mit etwas Glück bei ihren Doktorspielen dazugelernt oder zumindest Emergency Room geschaut haben. Anfangs wunderte ich mich, dass ich Krankschreibungen zurück bekam. Ich verstand das nicht und ein älterer Kollege erklärte mir dann, dass ich quasi in Babysprache schreiben muss, weil die es sonst nicht verstünden…

Mehr noch: es soll die Zahl der Krankschreibungen gesenkt werden. Dazu erhalten die Mitarbeiter Punkte, was sich dann positiv auf den Lohn auswirkt…

Die Krankschreibung selbst umfaßt 2 DIN-A4 Seiten (elektronisch). Darauf muss u.a. ausgeführt werden, wie weitreichend die Funktionsbegrenzungen ausgeprägt sind, was aber nicht immer möglich ist. Wenn etwas für nicht ausreichend betrachtet wird, so bekommt man die Krankschreibung zurück und man darf ergänzen. Während ich für so eine Bescheinigung etwa 45-60 min brauche, verschiebt sich meine Sprechstunde nach hinten.

 

Sozialismus in Weiss

Im Sozialismus ist ja eine Aufhebung der Klassenunterschiede verankert. In der Sowjetunion wurde gleich ein großer Teil der Intelligenz unter Stalin verheizt. Der Arbeiter und Bauer ist mehr wert als der Akademiker, der sich nicht die Hände schmutzig macht. Wenn es um einen Vergleich geht, dann ist das schwedische Gesundheitssystem was den Umgang der Berufsgruppen angeht 200% sozialistisch. Josef hätte seine Freude. Schon in der Ausbildung lernen angehende Krankenschwestern, Anordnungen des Arztes in Frage zu stellen. Die Krankenschwester weiss es eh besser und überhaupt hat man etwas gegen das althergebrachte Hierarchiesystem in der Medizin. Grundsätzlich kein schlechter Gedanke, aber schlichtweg pervertiert. Es kommt zu Fehlbesetzungen, Personen werden Chefs, die überhaupt keine Kompetenz besitzen. Kompetenz und Inkompetenz sind nicht an Berufe gebunden, sondern an Personen. Aber das spielt scheinbar keine Rolle. Eine Krankenschwester als Chefin ist gern gesehen und schreibt den Ärzten vor, wie lange sie Zeit für Patienten sie haben und hat ihre ganz eigene Meinung, ob man Patienten wieder einbestellen darf oder nicht, ect.

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Pünktlich zur Vorweihnachtszeit werden in allen Krankenhäuser und Vårdcentralen tonnenweise ein und dieselbe Weihnachtsdekoration auf die Gänge gekarrt und in den Zimmern verteilt. Wer nicht zur Weihnachtsfeier erscheint wird komisch angeguckt. Bei der Bundeswehr hieß das “dienstliche Veranstaltung geselliger Art”. Na dann! Frohes Drauflos-weihnachten! – Ganz “spontan” und “individuell”…

 

Noch ein schönes Beispiel: In einer anderen Vårdcentral gibt es etwas mehr Ärzte, die auch etwas engagierter sind. Dort wird z.B. eine Röntgenbesprechung abgehalten, was ich für eine tolle Idee halte. Generell guckt kaum einer in meiner Vardcentral Röntgenbilder an, was ich für sträflich halte, aber „egal, scheiß drauf“. Die Idee der Röntgenrunde fand auch die Chefin toll und wenige Tage später verkündete sie stolz, dass unsere Röntgen-Unterkrankenschwester (!) sich bereit erklärt hätte, für uns Ärzte eine kleine Fortbildung zu machen, auf was wir bei den Röntgenbildern achten sollten, wenn wir diese interpretieren… Mir sind fast die Kronen aus dem Mund gefallen!

Das ist total verdreht, vollkommen Banane! Warum nicht gleich die Putzfrau als Referentin einladen?!

Diesen kleinen Aspekt zusammen mit den anderen zeigt eigentlich, dass „das System“ wie es im schwedischen Gesundheitsweden gelebt wird, nur sich selbst und seine eigene Gelüste bedient.

Die leidtragenden sind die Patienten, die für den ganzen Blödsinn Kraft haben müssen. Aber auch an den „Distriktsläkaren“ (Allgemeinmediziner) geht das nicht spurlos vorbei. So ist ein Großteil meiner Kollegen in der Vergangenheit ausgebrannt gewesen. Sich um alles kümmern, aber dann doch der Mülleimer für alle sein.

„Das ist mit inbegriffen“ sagte ein Kollege trocken zu einer anderen Ärztin in Weiterbildung. „Deswegen arbeite ich nur 60%“. Hä? Jahrelang studiert, ausgebildet, um dann möglichst wenig zu arbeiten? Also wenn dann die große Kohle fließt und man ein schönes Leben hat OK, aber nur „um nicht auszubrennen“???

Die Kategorie  „Arzt“ soll alle anderen respektieren, während sie selbst keinen Anspruch auf Respekt äußern darf. Das ärztliche Kunst wird zu einer austauschbaren Dienstleistung „downgegraded“ (in Deutschland ja nicht anders, man ist ja fast nur noch ein ökonomischer Faktor).

Fragt Ihr jetzt wirklich noch, warum den Job keiner machen möchte?  – Und ich? Gute Frage. Warum bin ich überhaupt hergekommen, wenn das alles nicht so „dolle“ klingt?

Das werde ich Euch in Teil 3 erklären… 😉

*Ja, Ihr müßt Euch halt schon noch ein wenig gedulden ;)*

“Alles wird gut”

Abrechnung – Teil 1

 

Es ist kurz vor 10 in Falun. Donnerstag. Mein „kleines Wochenende“, wie ich es nenne. Ich habe meinen pappaledig-Tag, kann also einen Tag zu Hause verbringen. Mit Nico und Olga. Was sich erst einmal nach Ausschlafen und Gammeln anhört, ist in Wirklichkeit Arbeit. Naja, so schlimm auch nicht. An diesem Tag (und an den Wochenenden) bin ich es , der in der Früh oder in der Nacht aufstehen darf um das Jungtier zu füttern, Popochen zu polieren usw., während sich Olga mit einem Lächeln auf den Lippen umdreht. Mach ich natürlich gerne, vor allem, weil Nico wunderbar bis 5-6 Uhr durchschläft. So hat man also doch einen guten Schlaf.

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Herbst in Mittelschweden

Ich sitze bei Waynes Coffee, einem Cafe im Zentrum. Nico an meiner Seite in seinem „Porsche“, wie ich seinen Kinderwagen nenne. Inzwischen schläft er wieder. Ich sitze vor dem Laptop und gehe durch die wunderbaren Bilder aus Bahrain und Oman, die wir damals gemacht haben und bin einfach sehr glücklich und dankbar, dass wir so eine spannende Zeit erleben durften. Es ist wie eine Reise durchs Leben, eine Reise, die immer noch weitergeht. Momentan sind wir in Schweden, aber wer weiss, wie es in 5, 10 oder 15 Jahren aussehen wird?

Inzwischen haben wir 1 Jahr „rum“, und ich denke, es ist an der Zeit mal eine Bilanz, sozusage eine 1-Jahres-Bilanz zu ziehen. „Inventur“. Wo stehen wir heute? Hat es sich gelohnt? Wie lange wollen wor hier bleiben? Spannende, wie auch sensible Fragen.

Während ich bisher wie in einem Reiseblog geschrieben habe, so will ich Euch heute mal an den alltäglichen Dingen teilhaben lassen, die man nicht unbedingt als normaler Besucher so in der Form mitbekommt. Ich beschreibe etwas genauer das Leben hier, bevor ich Euch an meinem Résumé teilhaben lasse.

Meine Beschreibung spiegelt meine/unsere eigenen Erfahrungen wider bzw. so viel wie wir selbst verstanden haben. Möglich, dass wir einige Sachen falsch aufgefasst haben oder sich geändert haben.

Doch beginnen wir zunächst sanft und zärtlich…

 

Natur

Die meisten Besucher Schwedens sind begeistert von der Natur. Auch wenn es hier nicht die atemberaubenden Fjorde des Nachbarlandes gibt, so hat es doch seinen besonderen Reiz durch diesen Teil Skandinaviens zu reisen. Während im Süden die Kulturlandschaften mit geringeren Waldbeständen und ausgedehnten Feldern vorherrschen, so übernimmt nördlich der großen Seen Vänern und Vättern die unberührtere Natur das Zepter.

Seen, Flüsse und Wälder prägen die Landschaft in weiten Teilen Schwedens

Seen, Flüsse und Wälder prägen die Landschaft in weiten Teilen Schwedens

Die Besiedelung wird dünner und die Waldbestände größer. Mehr und mehr wirkt die Natur uriger und mächtiger. Wenn ich hier von Wald spreche, so meine ich nicht die „Wäldchen“ in Deutschland. In Deutschland gibt es scheinbar fast nur noch Forst, aus dem querliegende Bäume herausgezogen werden und alle Pflanzen scheibar einen festen Abstand zueinander haben müssen. Spontan fällt mir nur der Steinwald in der Oberpfalz ein, der einen ursprünglichen Charakter zeigt. Hier in Schweden (Mittelschweden und „aufwärts“) sind Wälder richtige Wälder. Herrlich!!! Wilde Bäche durchziehen das Unterholz, große Findlinge, in der Eiszeit von den Gletschern einfach liegen gelassen, Sümpfe und einsame Seen. Hier ein Häuschen an einem „eigenen“ See mit eigenem Zugang zu erstehen ist kein Problem und kostet auch (noch nicht) viel.  Ich habe sogar einen Patienten getroffen, der auf seiner eigenen kleinen Insel wohnt!

 

Wie es weiter im Norden aussieht wissen wir aus eigenen Erfahrungen nicht, aber es gibt unendlich viele schöne Stellen, an denen man Wurzeln schlagen möchte…

Die Sommerzeit ist kurz und wird auch weiter nach Norden hin immer kürzer. Schnell holt sich der Winter das Land zurück, und damit auch die Menschen. Die Tage werden kürzer, dasd Leben stirbt förmlich. Die Blätter fallen innerhalb kurzer Zeit und schon ist der Herbst vorbei. Schon im Oktober hatten wir dieses Jahr mehrfach Temperaturen knapp unter Null und am 1. November schneite es 15 cm! Das ist hier in Falun jedoch nicht ganz so häufig. Bis in den Januar hinein läßt der Schnee auf sich warten, während die Temperaturen auf weniger als -25°C sinken. Alles erscheint dunkel und wenn der erst Schnee kommt, freuen sich die Leute wie kleine Kinder. Der Grund ist einfach: es ist nicht ganz so dunkel. Alle sind draussen, wandern, laufen Ski usw. Es gibt sogar eigens für Skilanglauf kilometerlange Pisten durch den Wald, sodass man also auch in der Dunkelheit durch die Gegend schlittern kann. Das Leben erwacht gewissermassen wieder.

 

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Soziales

Schweden, oder vielleicht ganz Skandinavien, ist, naja, wie soll ich sagen, „speziell“. Ich will mal ein paar Beispiele nennen. Wenn man am Wochenende mit Freunden und Familie in ein Café gehen möchte, wie das, in dem ich gerade sitze (zentral in einer kleinen Mall), so wird man um 15.45 Uhr darauf hingewiesen, dass man bald gehen muss, weil man um 16 Uhr schliesst. Aha, geht ja schon mal gut los. Ein Cafe, dass um 16 Uhr zu macht am Sonntag, auch im Sommer!

Doch schon vorher verschwinden alle Anzeichen von Leben. Die Strassen leeren sich und nur dumme Touristen und „Aussengeländer“ wie wir stehen herum und wundern sich. Das Leben spielt sich in den eigenen vier Wänden oder in Vereinen ab.

Das kann für Ausländer, vor allem solche aus den warmen Ländern Europas oder Nahost, Afrika usw., sehr anstrengend sein. Freundschaften mit Schweden zu knüpfen ist nicht einfach, so auch für uns. Wir sprechen inzwischen die Sprache, finden uns zurecht und fühlen uns trotzdem nicht angekommen.  Am meisten haben wir Kontakt mit Nicht-Schweden.

Unsere Nachbarn sind zwar Schweden, aber sie sind unser Alter. Interessant war die Reaktion Jimmys, eines unserer Nachbarn: nachdem wir in das Haus eingezogen waren, klingelten wir an allen Türen, um uns mal vorzustellen. So auch bei Jimmy. Ein junger Mann, etwa Anfang 30, rotes Haar, mit Sommersprossen im Gesicht, öffnete. Auf unser „Hej!“ machte er erst einmal einen grossen Schritt rückwärts. Wir haben uns einige Male zum Kaffee getroffen und er ist auch ein sehr umgänglicher Schwede, allerdings muss er viel arbeiten (ja, auch solche Schweden gibt es).20160704_201352

Das Pärchen nebenan ist geschätzt Ende 20 und haben eine kleine Tochter, Annie, etwa 2 Jahre alt. Erst mit der Geburt Nicos kam ein Kontakt zustanden, den man als „lockere Nachbarschaft“ bezeichnen könnte.

Auf Arbeit klappt es ganz gut. Man fühlt sich geschätzt, aber man weiss nie genau, was die anderen über einen denken. Es ist etwa so wie in der Schweiz: alle schön nett, aber mitunter kann man sich nicht ausstehen.

 

Bürokratie

Es gibt wie immer und überall zwei Seiten der Medaille. So natürlich auch hier.

Beispiel 1: Die „personnummer“

Das Leben eines Neuankömmlings in Schweden beginnt eigentlich erst und nur mit der sogenannten „Personnummer“ (sprich perschonnümmer). Dies ist eine 12-stellige Zahl, die sich in ihren ersten acht Ziffern auch dem Geburtsdatum und vier weiteren spezifischen Ziffern zusammensetzt. Aus den letzten Ziffer kann man das Geschlecht ablesen: gerade Zahlen für Frauen, ungerade für die Männchen. Diese personnummer ist weit mehr als nur eine Ausweisnummer oder so etwas. So gut wie alles ist mit dieser Nummer verknüft. Will man ein Konto eröffnen, so braucht man diese, will man eine Wohnung mieten ebenfalls… Der Vorteil ist, dass man sich nur einmal beim Skatteverket, der Steuerbehörde, anmelden muss und anschliessend wird man automatisch bei Krankenkasse, Rentenversicherung, Arbeitslosen-dingsbums usw. angemeldet.

Das Skatteverket (Finanzamt) - ebenso "beliebt" wie in Deutschland

Logo des Skatteverkets (Finanzamt) – ebenso “beliebt” wie in Deutschland

Auch bei einem Arztbesuch ist es recht einfach. In Dalarna gibt es ein gemeinsames System, das trotz aller Mängel den großen (und vielleicht einzigen) Vorteil besitzt, dass jeder Arzt in dieser Provinz mit der Personennummer auf alle relevanten Daten des Patienten zugreifen kann. In Deutschland hat jedes Krankenhaus, jede Arztpraxis seine eigene Datenverarbeitung, die nicht verknüpft ist mit denen von anderen Krankenhäusern. Wenn also ein Patient in die Akutsprechstunde kommt, oder Rettungsstelle, so reicht ein Blick in den Computer und man weiss Bescheid über Medikamente usw., auch wenn der Patient 250 km weiter eigenlich wohnt und dort seinen Arzt hat. Der Arzt dort wiederum kann nach der Entlassung des Patienten aus dem Krankenhaus dann direkt schauen, wie dieser behandelt wurde. Es gibt auch unzählige andere Beispiele, bei denen deutlich wird, dass so ein System vieles vereinfacht.

 

Soweit die Theorie,

… doch schauen wir uns einmal die Realität an: Olga und ich haben 5 Wochen (oder sogar mehr) auf diese bekloppte Nummer gewartet. Eine Zeit, in der wir vom  deutschen Konto gelebt haben. Natürlich wurde mir das Geld nachträglich überwiesen, aber eine finanzielle Belastung war das trotzdem (und wer bezahlt mir die Gebühren für die Auslands-Barabhebungen?).

Bei uns klappte es also mehr oder weniger. Bei unseren Bekannten, Krankenschwester und –pfleger aus München plus kleinem Sohn, lief das ganze aber weit aus dem Ruder: es dauerte etwa 3 Monate! Als er wiederholt beim Skatteverket vorstellig wurde und penetrant nachhakte, was denn nun mit seinem Antrag sei, so sagte man, der Antrag wurde gerade abgeschickt nach Örebro. Wohlgemerkt: er hatte den Antrag Wochen

Sicherheit wird v.a. für Kinder groß geschrieben (Bild: "Würmchen-Geschwindigkeit")

Sicherheit wird v.a. für Kinder groß geschrieben (Bild: “Würmchen-Geschwindigkeit”)

vorher abgegeben! Und: keiner konnte mir bisher erklären, warum die Anträge in verschiedene andere Städte zur Bearbeitung geschickt werden! Meiner landete vielleicht in Kiruna (Nordschweden), Olgas vielleicht in Trelleborg…  Er musste einsehen, dass er trotz des zarten schwedischen Gemüts mal seine Freundlichkeit vergessen musste. Mit den Worten (auf Englich) „was ist denn das für eine Bananenrepublik“ und einigen anderen Dingen, ließ er „mal den Deutschen raushängen“. Mit Erfolg. Am nächsten Tag hatte er für die gesamte Familie die ersehnte Nummer… Doch damit noch kein Geld. Mit der Nummer kann man die ID-kort beantragen, eine Identitätskarte wie der Perso. Aber das dauert auch wieder 2 Wochen etwa. Mit dieser kann man dann zur Bank gehen und ein Konto eröffnen. Geld kommt aber trotzdem noch nicht, weil die Auszahltermine ja eingehalten werden müssen.

Das Geld kommt übrigens wirklich pünktlich für jeden Schweden am 27. jeden Monats, oder eben früher, wenn das ein Wochenend- oder Feiertag sein sollte.

 

Beispiel 2: Die Skatt (Steuer)

Es wird ja immer viel darüber geredet, dass alles in Skandinavien so teuer sei. Stimmt ja auch, aber in der Schweiz ist es nun wirklich nicht billiger (auch dort habe ich in Bern mal eine Dönerbude gesehen, an der der Döner etwa 9 Euro kosten sollte). In der angeblich so immens hohen Steuer ist aber u.a. schon die Krankenversicherung inbegriffen und generell relativiert sich die Ansicht „teuer“ schon etwas. Mit Steuersündern gehen die Skandinavier aber besonders unzärtlich um. In Deutschland kann ich meine Steuererklärung machen, hier muss ich. Mir war das nicht so richtig bewusst, als ich die Formulare zugeschickt bekam und mit der Geburt Nicos verpasste ich dann natürlich die Frist. Im August bekam ich dann einen Brief, in dem stand, dass (Achtung schwedische Diplomatie bzw. Ausdrucksweise!) „erwogen wird, ob“ ich eine Strafe zahlen müsste. Dazu standen die verschiedenen Bußgeldniveaus, abhängig wie lange man getrödelt hatte. Bei mir belief sich die Summe auf über 100 Euro. Na super… Man kann aber ein Statement abgeben, was ich dann auch per Email tat. Ich erklärte die Situation mit Nico usw. (erst kurz in Schweden, blablabla) und wenige Tage später bekam ich eine Antwort, dass man auf ein Bußgeld verziechte, mit dem Schlusssatz „Willkommen in Schweden!“. Das war mal etwas wirklich positives!

 

Beispiel 3: Welches Land darf’s sein? – Geographie(un)kenntisse

Die Schweden bezeichnen ihr Land in der Regel als „klein“, wobei sie die Bevölkerungszahl meinen, nicht aber die geografische Größe. Dass man in unterschiedlichen Gegenden die eigene Lage unterschiedlich betrachtet (Süd-, Mittel, Norddschweden) hatte ich vielleicht irgendwann schon einmal erwähnt. Während die einen sich in Gävle schon zu „Norrland“ zählen, so ist es für die dort oben eher Südschweden, obwohl es geografisch gesehen eher Mittelschweden ist. Naja, soviel zur Eigenwahrnehmung. Richtig abenteuerlich wird es, wenn es um andere Länder geht:

Für Nico brauchten wir einen Kinderreisepass, weil die Eintragung in den Pass der Eltern nicht mehr vorgenommen wird. Dazu brauchten wir einen Auszug vom „Skatteverket“ („Steuerwerk“, als Finanzamt, dort, wo man die lustige Personnummer bekommt). Auf diesem mussten Namen, Geburtsort und –land, Geburtsdatum, Personennummer natürlich von uns allen inkl. Nico draufstehen. Eigentlich nur ein Ausdruck, nicht so schwer. Was Olga dann aber in die Hand bekam war ein Dokument, auf dem Olga als deutsche Staatsbürgerin geführt wurde mit Geburtsort „Brest in Russland“. Ok, also die gute alte Sowjetunion gibts ja nicht mehr, schon mal gut, dass sich das auch zu den Schweden rumgesprochen hat, und auch viele Deutsche werden nicht wissen, dass Brest in Weissrussland liegt, oder dass es so etwas überhaupt gibt. Aber: Olga eine andere Nationalität zu verpassen, wobei wir alles bei der Anmeldung hier und über das Migrationsverket (Ausländerbehörde) richtig gemacht haben… das ist schon… äh.. eigenartig. Noch besser: als Olga die Dame am Schalter darauf aufmerksam machte, fragte diese, woher Olga denn solche Informationen habe… Brest nicht in Russland??? Olga verwies die Dame an GoogleMaps und irgendwie drang das (vielleicht) auch zu ihr durch. Dennoch: die Änderung der Daten könne mehere Wochen dauern. Das könne man nicht einfach so schnell machen. Hä? Wa? Wir hatten Sommer, 2 Monate später wollten wir nach Deutschland fahren und die wollte uns womöglich auf den Herbst vertrösten?? Naja, Olga hat ihren Scharm spielen lassen und am nächsten Tag bekam sie einen Anruf: sie könne das Dokument abholen. Wir waren wirklich gespannt. Dieses Mal vielleicht mal die nordkoreanische Staatsbürgerschaft? Brest in Frankreich als Geburtsort?  Aber es klappte dann doch…

 

Der gläserne Bürger
Beispiel 4: Die Abschaffung des Bargelds

Das, was in Deutschland undenkbar wäre (zumindest momentan), ist hier schon längst Realität: eine möglichst lückenlose Überwachung des Bürgers. Die Kehrseite der personnummer z.B. ist die Verknüpfung von Daten, die aus meiner Sicht nicht an andere Stellen als z.B. die Gesundheitsbehörde usw. weitergereicht werden sollten. Weiter geht es mit den EC-/Kreditkarten. Man kann so gut wie alles fast überall mit der Karte bezahlen. In Stockholm gibt es auf dem Bahnhof eine m/w-gemischte Toilette (!), die glaube ich 50 cent oder 1 Euro kostet. Auch diese kann man mit der Karte bezahlen. Bargeld wird mitunter gar nicht mehr angenommen. Mit der Erhebung und wahrscheinlich auch Speicherung der Daten kann man also sehen wann ich wo auf der öffentlichen Toilette war, oder den Parkautomaten gefüttert habe. Es hinterlässt einen fahlen Beigeschmack.

Na, einen Snack mit Karte zahlen? - Automat im Krankenhaus

Na, einen Snack mit Karte zahlen? – Automat im Krankenhaus

Weiter geht es mit Besitz bzw. Einkommen. Es ist normal, dass in der Zeitung mit Namen und Betrag steht, wer wann welches Haus oder Grundstück zu welchem Preis gekaúft hat. Mehr noch: in zeitlichen Abständen wird in der Zeitung abgedruckt, wieviel ich jeden Monat verdiene. Mit Namen und Betrag! Ich werde auch gar nicht gefragt, ob ich im Telefonbuch erscheinen möchte oder nicht. Diese Daten werden anscheinend selbstverständlich veröffentlicht. Letztens entdeckte ich mich mit Altersangabe, Telefonnummer, Adresse. Ob die auch meine Hämorrhoiden zählen? Vielleicht sollte ich lieber die Behörden fragen, ob ich überhaupt welche habe, ich geh ja davon aus, dass die inzwischen mehr über mich wissen, als ich über mich selbst! Die Schweden scheinen das als ganz normal zu empfinden. Sicherheit wird gross geschrieben, was ja eigentlich nicht verkehrt ist.

Insgesamt passt das aber zu einer „gesamtsozialistischen“ Einstellung der Bevölkerung. Schweden hatte ja mal eine sozialistisch angehauchte Phase, aber so ganz haben sie die nicht überwunden. Dazu zählt die weitverbreitete Einstellung, dass „Papa Staat“ schon alles regeln wird und muss. Da nimmt man auch eine Einschränkung der Privatsphäre in Kauf.

Beispiel 5: Das Autokennzeichen

In Schweden besteht jedes Autokennzeichen aus 3 Buchstaben und 3 Ziffern. Da steckt glaube ich auch die Angabe drin, wann das Auto zum „bilprovningen“ (so etwas wie TÜV) muss, also in welchem Monat. Das muss man nämlich jedes Jahr. Ansonsten sagen den Buchstaben und Ziffern leider nichts aus über den Wohnort des Halters, wie etwa in Deutschland.

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Des Schweden liebstes Auto: der Volvo. Hier zwei ältere Modelle, die noch nicht in China gebaut wurden… (also, die Autos meine ich…)

Bei der Ummeldung eines im Ausland zugelassenen Autos ist das etwas unständlich (Ursprungskontrolle, technische Überprüfung und allerlei andere Sachen). Schliesslich bekommt man dann das Kennzeichen, dass übrigens eine Art Identität des Autos darstellt, nicht aber des jeweiligen Besitzers. Im Gegensatz zu Deutschland bleibt das Nummernschild immer am Auto, egal wie oft der Besitzer wechselt. Jedoch steckt noch etwas Anderes, „Gewitztes“ dahinter. Wenn ich wissen möchte, wem das Auto momentan gehört, kann ich auf einer Internetseite das Kennzeichen eingeben und anschliessend wird mir zwar (zum Glück) nicht der Name genannt, aber ob das Auto einem Mann/Frau gehört und in welchem Ort derjenige wohnt. Sind wir also wieder beim Thema Datenschutz, wobei sich das vielleicht bei einer Großstadt wie Stockholm doch etwas relativiert. Hier im ländlichen Bereich könnte man jemanden aber deutlich schneller zu Hause besuchen, als es diesem recht sein dürfte.

Neben diesen Informationen kann man aber, und das denke ich ist wirklich gut, sehen, wie alt das Auto ist, wie es versichert ist, wie oft es in der Reparatur war und wieviele Besitzer es hatte. Also mit viel rummogeln so wie in Deutschland ist es also nicht, wenn man gedenkt ein gebrauchtes Fahrzeug zu kaufen.

 

Arbeit und Arbeitsmoral

Ja, es gibt Leute in Schweden, die arbeiten. Warum ich das so sage? Naja, in Scheden gibt es eine andere Arbeitskultur, von der man in Deutschland schon etwas lernen könnte, andere Sachen aber ganz bestimmt nicht abkupfern sollte:

  1. Man hat Recht darauf mehere Wochen im Sommer Urlaub zu machen. Punkt. Das ist so, egal ob Kinder im schulpflichtigen Alter oder nicht.
  2. Arbeitnehmer kann man nicht so leicht aubeuten: stimmt in gewisser Weise. Es ist gesellshaftlich inakzeptabel, dass man mehere Stunden arbeitet, ohne eine Pause zu machen. Es wird erwartet, dass man sich als Arbeitnehmer mit seinen Kollegen zusammensetzt und eine „Fikapause“ macht. Das ist eine Kaffeepause mit anderen Worten. Wer sich verkrümelt uns weiter arbeitet wird als komisch wahrgenommen. Überstunden sind auch nicht richtig akzeptiert und überhaupt sollte man sich nicht kaputtmachen auf Arbeit. Das, was in Deutschland Alltag ist, ist hier nicht akzeptabel. Gut so! Dennoch funktioniert das auch hier nicht immer so, und generell gibt es in den öffentlichen Einrichtungen eine ganze Menge Leute, die gefühlsmässig nur „fika“ machen, während andere wirklich arbeiten.
  3. Kinder zu haben und zu arbeiten ist etwas normales in Schweden. Es gibt auch kaum Hausfrauen, da sich die „reichen Schweden“ das nicht leisten können. Dass man auch als Mann eine Weile zu Hause ist beim Kind wird geradezu erwartet, und das Bekanntwerden einer Schwangerschaft ist für einen Chef nicht gleichbedeutend mit einem heraufziehenden Atomgewitter. Auch wenn es den Chef vor Personalprobleme stellt, so wird die Ankunft eines neuen Erdenbürgers als viel positiver wahrgenommen, als in Deutschland.

In manchen privaten Betrieben sieht es mit den Pausen etwas anders aus, besonders wenn diese von ausländischen Eigentümern betrieben werden. Unser Nachbar Jimmy arbeitet in der nahegelegenen Kabelfabrik. Vor wenigen Jahren wurde die Fabrik von einem dänischen Unternehmer gekauft. Die Folge: Entlassungen, Mehrarbeit für die übrig gebliebenen Mitarbeiter. Diese spüren jetzt einen gewissen Druck, den es in Deutschland und anderen Ländern ja schon länger gibt. (Dennoch wird es bestimmt etwas milder sein als bei uns.) Die Arbeitnehmer haben in Schweden dank der sozialistischen Einstellung weitreichenden Schutz, anschheinend mehr noch als in Deutschland. Übrigens mit bedeutenden negativen Folgen für die Arbeitsuchenden: Einen Mitarbeiter zu kündigen ist noch schwieriger als in Deutschland. In der Folge gestaltet sich die Auswahl des geeigneten Mitarbeiters sehr kompliziert. Junge Aspiranten müssen (wie auch in manchen grossen internationalen Unternehmen) mehere Tage Tests und Prüfungen durchlaufen, bevor sie in die engere Auswahl kommen. Die Folge ist eine nicht unbedeutende Arbeitslosigkeit bei zeitgleichem Fachkräftemangel. Das was die deutsche Wirtschaft schon länger beklagt (unzureichende Schulkenntnisse) kann man auch hier antreffen und die Jugendlichen disqualifizieren sich selbst. Aber auch für die reiferen Kandidaten ist es nicht unbedingt besser, müssen sie doch mit den jungen „knackigen“ konkurrieren.

Die Rasenmäher-Roboter sind ja ganz modern hier, aber der hier ist sogar besser: ferngesteuert.

Die Rasenmäher-Roboter sind ja ganz modern momentan, aber der hier ist sogar besser: ‘ne Nummer größer und ferngesteuert.

Noch ein Wort zur Arbeitsmoral: Es fällt auf, dass sich viele Schweden als “arbeitsscheu” zeigen. Es wird betont langsam gearbeitet, was man eigentlich schon als geschäftsschädigend bezeichnen kann – würde man in einer Marktwirtschaft leben, in der Konkurrenzfähigkeit das Überleben der Firma sichert. Konkurrenten gibt es hier v.a. auf dem lande wenig und so kann man sich einen ruhigen Arbeitsgang auch leisten. Verantwortung? Nein, danke! Das ist auch so eine Haltung, die hier weit verbreitet ist. Und wenn man grad nicht weiter weiß, macht man eben ein Meeting. Das sind Veranstaltungen, auf denen viel, sehr viel geredet wird. Aber eigentlich sagt man nicht sehr viel, weil alles durch “Diplomatie” verwässert ist. Nach meheren Stunden bedankt man sich für das Gespräch und stell fest, dass man sich ja noch einmal zum gleichen Thema treffen müsse, weil man ja nichts beschlossen habe…

 

“Professionelle Amateure mit Spezialisierung”

Noch ein Wort zur Arbeitssituation in Schweden. Auffallend ist, dass auch unqualifizierte bzw. weniger qualifizierte Personen einen Job bekommen können, z.B. als Lehrer bzw. “Hilfslehrer”. Als solcher bekommt man natürlich nicht so viel Geld und überhaupt ist die Bezahlung von Lehrkräften recht mager. Dennoch: eine wunderbare Chance für jene, die dringend arbeiten müssen, aber keine richtige Ausbildung oder Legitimation haben. Auf der anderen Seite fragt man sich natürlich, wie eine mangelnde Qualifikation mit einem anspruchsvollen Beruf vereinbar ist. Viele haben keinerlei pädagogische Vorkenntnisse. Einzige Qualifikation ist z.B. Englisch als Muttersprache. Ein Fall verdeutlicht die Notsituation und prekäre Lage sehr gut: Olga hat eine italienische Bekannte, eine Junge studentin, die “Haushaltskunde” -oder Wissenschaft an einer weiterführenden Schule unterrichtet. Auf die Frage, was sie qualifiziere, antwortete sie, sie backe gerne Muffins… Hä?? Wie?? Kein Witz, stimmt wirklich!

Dieser Besonderheit begegnet man auch in anderen Bereichen, doch dazu später.

Soviel erst einmal zum Allgemeinen. In Teil 2 gibt`s mehr “lustiges Allerlei aus Schweden”, vor allem aus meinem beruflichen Alltag. Seid gespannt auf Neues aus dem Land der “ungeahnten Unmöglichkeiten” ! 😉