Wahnsinn hautnah – Neues aus der “Ballerburg”

In welcher verrückten Zeit leben wir eigentlich? Wer hat sich diese Frage in den letzten Jahren nicht auch vermehrt gefragt? Da ist Corona, die Klimakrise, Kriege und Konflikte, Inflation, Mietenexplosion… Das ist doch wie im Irrenhaus, möchte man meinen. Und dann ist da noch der Krieg vor unserer Haustür. Großmächte und Allianzen, steigen aus der Versenkung. Die einen weiß, wie das Gute, die anderen schwarz wie das Böse. Längst überwunden geglaubte (eiserne) Vorhänge werden wieder hoch gezogen und alte Ängste werden zu neuen. Was soll man glauben? Mit Familienangehörige auf beiden Seiten des Konfliktes in unserer Nachbarschaft sind wir besonders betroffen, bangen und hoffen. Das Herz schmerzt. Entgegen der Ansicht treffen doch in der Realität keine abstrakten Systeme aufeinander, sondern Menschen, wie wir alle. Das ist traurig und krank. Es gibt keinen einzigen echten Grund, Krieg zu führen!

Genauso krank ist die Hierarchie unter den Konflikten: wer spricht noch von Somalia oder Syrien? Und wieso sind Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afghanistan Flüchtlinge zweiter Klasse? Während sie im Niemandsland zwischen den Staaten stecken, ziehen die Flüchtlinge aus der Ukraine an ihnen vorbei durch offene Tore. Sollten diese nicht für alle gleichermaßen offen sein? Ein polnischstämmiger Freund vermutet, dass die Ukrainer als christliche Glaubensbrüder gesehen werden und z.B. in Polen daher eher willkommen sind… Das ist doch Wahnsinn!

Aushalten

Von dem habe ich momentan übrigens mehr als genug – um mich herum versteht sich! Passend zu dieser Zeit habe ich in der Psychiatrie “angeheuert”, dem Irrenhaus, der Irrenanstalt, Narrenhaus, Klapsmühle, Tollhaus, der “Ballerburg”. Im November habe ich im stationären Bereich angefangen. Gemäß meinem Ideal “alles mal gesehen zu haben”, hat es mich schon immer mal interessiert, hinter die Fassaden zu schauen. Natürlich kann man nicht alles machen, aber für meine hausärztliche Tätigkeit allemal lehrreich. Und: ich habe mich nicht geirrt. In den paar Monaten habe ich bereits viele, sehr viele Krankheitsbilder gesehen, deren Ausprägung ich so sonst eher selten zu Gesicht bekomme: Schizophrenie, Manie, psychotische Zustände, Suizidalität, psychische Traumata, Depressionen, Angst, Persönlichkeitsstörungen. Inzwischen sehe ich Situationen anders, bewerte auch vergangene Erlebnisse mit anderen Menschen neu. Und das Beste: ich erkenne auch Kollegen in gewisser Weise wieder… Situationen, in denen ich mich früher geärgert habe wegen Oberärzten oder anderen Kollegen, bekommen plötzlich einen Sinn, besonders bei Thema Persönlichkeitsstörungen…

Aber ich will mich nicht nur über Andere lustig machen, auch ich selber bekomme mein Fett weg. Man merkt seine eigenen Defizite mehr. Zum anderen ist da der Kontakt mit den Kranken: es macht etwas mit Dir. Eine Binsenweisheit vielleicht, da der Kontakt mit anderen Menschen immer etwas mit einem macht. Aber hier sind es z.T. sehr verstörende Bilder, die in Gesprächen transportiert werden, meist Kindheitstraumata, die einem schwer im Magen liegen können, wenn man sie hört.

Im Gegensatz zur Unfallchirurgie z.B. sitze ich passiv da, kann nicht schrauben, Blutung stoppen usw. Aktives Zuhören ist angesagt, oder einfach nur still zuhören. Aushalten. Und das fordert einen heraus. Das trifft besonders auf die “geschlossene Station” zu, wo hochakute Patienten versorgt werden, die z.T. mit Handschellen und der Polizei kommen (per PsychKG = Psychisch-Kranken-Gesetz = Zwangseinweisung”):

“Es gibt nichts, das es nicht gibt!”

Ein junger Mann, der auf der Brücke stand und seiner Freundin Bilder schickte und drohte zu springen – um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen – als kleiner Junge vernachlässigt, alleine, vom Freund der Mutter mit einer Holzlatte verprügelt, als Erwachsener hochgradig dependent und depressiv. Die junge Frau, intelligent, die sich selbst immer wieder verletzte, Glasscherben aß, zwangseingewiesen wurde um eine Stunde nach Entlassung auf den Schienen stand – und von zwei Studenten gerettet wurde. Dann die junge Frau, die vom Vater als vierjährige mit dem Gürtel bis zur Bewußtlosigkeit gewürgt wurde und sich in einem anderen Krankenhaus selber strangulierte und nicht in der Lage ist, ein eigenes Leben zu führen und Todessehnsucht hat. Oder der 20jährige, der sich ein Brotmesser in die Brust rammt, wie ein Wunder überlebte und sich anschliessend damit das halbe Kinn wegschnitt. – Und: Pöbelnde, aggressive, gewaltsame Patienten in ihrer Psychose, nette, schweigsame Patienten, die auf dem Schrank sitzen… es gibt nichts, was es nicht gibt. Dieser Spruch bewahrheitet sich hier wieder.

Im Auge des Betrachters: der eine sieht das Dach des Hauses, der andere eine Möglichkeit zu Springen

Das sind einprägsame Fälle, aber auch die weniger spektakulären sind bedeutsam. Hinter jedem Fall steht ein Mensch, der gelitten hat und noch leidet. Zwangseinweisung, Freiheitsentziehung im Zimmer (“Gummizelle”), angegurtet oder gar Zwangsmedikation, das sind die härtesten Maßnahmen. Beruhigend kann ich bestätigen, dass es keinem der Kollegen, die ich bisher kennengelernt habe, Spaß macht, Patienten “wegzusperren” oder “ruhigzustellen”. Auch das Rechtssystem beruhigt mich, wenn es um die Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern geht. Vor wenigen Jahrzehnten ist das auch in Deutschland noch anders gewesen…

Die Mutante Mensch

Das nächste Auto wird ein U-Boot! Jupp, das wärs wirklich: Corona kommt und man taucht einfach ab. Man macht sich aus dem Staub und hat mit dem Mist nichts zu tun. Eine Angel sollte man schon mitnehmen, falls das Proviant ausgeht. Und ne kleine Meerwasser-Entsalzungsanlage an Bord wäre auch nicht schlecht. Also: das nächtste Auto wird ein U-Boot mit Anhänger!

Oder man läßt sich auf den Mond schiessen – im wahrsten Sinne des Wortes. Während die Seuche auf dem Planeten grassiert, sitzt man wortwörtlich “kontaktbeschränkt” und mit einem Vielfachen des Mindestabstands da oben und guckt runter.

Na gut, das wäre auch keine Option für mich. Dann lieber auf der Erde, am besten in der Wüste…. (natürlich in der Wüste, wo denn sonst 😉

Jetzt bloß nicht schlapp machen!

Jetzt haben wir schon fast Ende Februar und die Tage werden schon wieder etwas länger. Klar: Normalität ist noch lange nicht in Sicht, aber ich sehe es mal so: von der dunklen kalten Jahreszeit (ich rechne Oktober-März) haben wir bereits 2/3 geschafft!

Mutationen und das Impfstoff-Debakel sind zwar Dämpfer, allerdings muss man auch mal etwas feststellen: bei allen Mängeln wurde von den Verantwortlichen aber auch gute Arbeit geleistet und viele richtige Entscheidungen getroffen. Bei einem Land mit “roundabout ” 83 Mio Einwohnern mit fast ebenso vielen Meinungen und vor allem selbsternannten “Experten” eine Leistung. Und: die meisten Menschen halten sich an die Vorgaben, Querdenker hin oder her. Es gab keine Ausschreitungen wie in den Niederlanden. Auch das muss man wertschätzen. Jetzt bloß nicht schwach werden und nachlassen. Das gilt für uns, wie auch für die Entscheidungsträger. Und von denen wünsche ich mir mehr Pragmatismus und weniger Wahlkampf!

“Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt!” – im Rahmen der Möglichkeiten

Wir persönlich merken, dass wir uns erstaunlich gut inzwischen an die Situation gewöhnt haben. Man “baut sein Leben um“. Kein Geldausgeben im Cafe, mehr Spaziergänge und mehr Internet. Letzteres schein inzwischen die Lebensader zu sein. Nicht nur Homeschooling oder Homeoffice sind von davon abhängig, auch die Freizeitgestaltung ist es in größerem Maße. Fernsehen schauen wir nicht mehr live. Dafür gibts mehr Youtube und Filme aus der Mediathek verschiedener Sender. Bei guten Filmen kann man träumen, zum Beispiel vom U-Boot als Flucht vor Corona oder Raumschiffen.

Nicht aus der Kurve fliegen!

Aber das reicht natürlich nicht, irgendwann bekommt jeder mal einen “Koller“, das ist ganz normal. Aber was ist normal? In diesen Zeiten ändern sich die Maßstäbe. Kriege, Katastrophen, Krisen, der Mensch hat sich immer wieder angepasst, sich sozusagen neu erfunden. Das wird er auch dieses Mal tun. Die Klimakrise, das Virus. Man könnte den Eindruck gewinnen, die Natur wehrt sich gegen das zerstörerische Wesen Mensch. Ein Virus reicht nicht, es werden mehr folgen. Wir wissen, dass die Erderwärmung zu einer gesundheitlichen Gefahr wird, auch für den Menschen. Nicht nur die direkte Hitze, sondern auch Ernteausfälle und nicht zuletzt Erkrankungen, die man eher in südlicheren Ländern erwarten würde: Das Krim-Kongo-Fieber, das durch eine neue Zeckenart übertragen wird und das West-Nil-Virus fallen mir da gerade ein.

Keine Mutation, sondern ein Spass des Autors zum Rosenmontag (mit künstlichem Bart)

Jetzt also SARS-CoV-2 und seine Mutanten. Dabei scheint der Mensch doch eigentlich die gefährlichste Mutante zu sein. Mit seiner zerstörerischen Kraft ist er für Mutter Natur inzwischen eher eine Fehlentwicklung als die “Krone der Schöpfung“. Kriegen wir die Kurve? Das mag sich so mancher fragen, ich auch. Aber ich sehe schon, wie der Mensch ganz besessen ist, alles erdenkliche in Gang zu setzen, um seinen Lebenstil so fortsetzen zu können, anstatt die Weichen neu zu stellen. Wir werden eher noch größere Klimaanlagen bauen, um uns zu kühlen, anstatt weniger CO2 zu emittieren. Dabei bin ich mir noch nicht einmal sicher, wer wirklich den größten Ausstoß verursacht. Wie dem auch sei, ich gebe schon mal eine Prognose ab: derjenige Wirtschaftszweig, der am meisten Geld bringt, wird sicherlich von Restriktionen am meisten ausgespart werden, auch wenn er viel emittiert. Dem Wirtschafts- bzw. Industrielobbyisten sei “gedankt”.

Wie im Krieg!

Corona ist los! Kaum sind die ersten Fälle in Deutschland bekannt, drehen die Menschen am Rad! Hamsterkäufe. Desinfektionsmittel ist nicht mehr erhältlich. Angeblich werden Flaschen schon mit 200-300 Euro gehandelt! Und Masken gibt’s eh schon keine mehr. Bitte, was soll das??? Seid`s denn närrisch geworden???

Karneval in Osnabrück

Bereits im Januar erfuhr ich, dass eine chinesische Familie von Shanghai nach Osnabrück gezogen sei: Flucht vor dem Virus! Ziemlich verrückt fand ich das und konnte mir die Panik nur in dem fehlenden Vertrauen gegenüber der staatlichen chinesischen Institutionen erklären. Während “Häuptling Jens” (Gesundheitsminister J.Spahn) selbstverliebt in die Kameras grinste, und davon sprach, dass Deutschland gut aufgestellt sei, verriet uns der Apotheker, dass in ganz Deutschland keine FFP2 bzw. FFP3-Masken mehr erhältlich seien. “Alles nach China verkauft!”. Gleichzeitig fanden (noch) keine Kontrollen von Reisenden aus China an Flughäfen statt…

Sind denn alle verrückt geworden?

Als ich heute morgen auf der Arbeit ankam, wartete die eine Arzthelferin aufgeregt auf mich: In Osnabrück gebe es den ersten Quarantäne-Fall. Erst einmal nicht so schlimm, aber die Menschen hamsterten wie die Verrückten, sodaß wir für unsere Desinfektion keinen Nachschub mehr bekämen. Wir beschlossen, alle vorhandenen Desinfektionsspender wegzupacken, damit diese nicht geklaut würden! Wo sind wir denn hier? Im Kriegsgebiet? 1945? Das hier ist nicht Ebola!!!

Sicher, wir wissen noch nicht genug über das Virus, aber es ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen kein hochgefährlicher Erreger! Da gibt es schlimmere, allen voran das Influenza-Virus, das vor allem in der Saison 2017/18 verheerende Ausmaße angenommen hatte. Ganz zu schweigen von den Jahren 1918-1920, also vor ziemlich genau 100 Jahren, als während der sogenannten Spanischen Grippe weltweit mindestens 25 Millionen Menschen starben!!! Im Gegensatz dazu wird die Corona-Infektion als eine Erkrankung mit mildem Verlauf beschrieben. Was einem natürlich trotzdem zu denken gibt: warum sterben auch junge Menschen, wenn es denn so mild sein soll? Die Umstände spielen bestimmt auch eine Rolle: Vorerkrankungen, Ernährungsstand etc.

Verwirrende Informationen gepaart mit reißerischen Bildern aus Fernost tragen das Nötige dazu bei, um unsere Phantasie anzuregen. Wer hat nicht schon mal einen Film gesehen, in dem die Menschheit als Ganzes von Naturkatastrophen oder eben einem Virus bedroht wird?

Also:

Ja, es gibt eine Pandemie und Anlaß, Vorkehrungen zu treffen und Pläne umzusetzen. Das ist alleine schon deswegen hilfreich, weil wir so lernen können, was es zu verbessern gilt, falls wirklich mal ein gefährliches Virus die Welt überrollt! Und: Ja, die gefährdeten Patientengruppen müssen geschützt werden.

Nein, Panik(mache) ist wie immer fehl am Platze und gefährdet Menschenleben: Desinfektionsmittel gehört in medizinische Hände und nicht in die von Privatpersonen! Übrigens: die Masken schützen einen eh nicht, wenn es nicht FFP3-Masken sind. Und auch diese sind dann irgendwann mal “durch”. Aber für Tuberkulose oder andere gefährliche Erkrankungen brauchen wir die und wenn die dann vergriffen sind, weil irgendwelche Narren die auch nach Karneval noch bunkern müssen, dann gefährdet uns das!!!

In diesem Sinne: Bleibt gesund und passt auch etwas auf die Psyche auf…!

Links: Robert-Koch-Institut allgemein und Informationen zur Influenza unter RKI Arbeitsgruppe Influenza mit Berichten zur aktuellen Lage.