Flüchtlingskrise, Mord und “Integration”

Die Überschrift für diesen post ist bewußt provozierend gewählt. Eigentlich wollte ich Euch etwas über den Alltag hier berichten, aber dann kam am letzten Donnerstag etwas vor, was ich nie in der kleinen Gemeinde Rättvik erwartet hätte und was mich schließlich zu diesem Thema und der Überschrift geführt hat…

Kurz nach 12 Uhr mittag stürzte ein Mann in den Akutbereich der Vårdcentral (å = o) und rief aufgeregt um Hilfe. Er schleppte einen jungen Mann aus seinem Auto in den Akutraum, der im Brustbereich blutete und nur noch stossweise atmete.

aftonbladet rättvik

Die Klatschpresse war sofort vor Ort. Im Hintergrund das “Tourist-Hotellet”, ein ehemaliges Hotel, jetzt Unterkunft für ca. 80 “asylsökande”

Es stellte sich heraus, dass der schwer Verletzte als Asylbewerber in der nahegelegen Flüchtlingsunterkunft (etwa 200 m entfernt von der Vårdcentral) lebte und mit einem anderen Asylbewerber in Streit geraten war. Der andere hätte ihm ein Messer in die Brust gerammt und geflüchtet.Tatsächlich fand sich auch eine Stichwunde im Bereich des Herzens. Ein als Koch angestellter Mitarbeiter der Unterkunft hatte ihn dann ins Auto gesetzt und zu uns rübergekarrt. Das war das einzige was Sinn machte, denn der Krankenwagen braucht sehr lange (wir haben keinen eigenen). Die Kollegen waren schon mit den Wiederbelebungsmassnahmen beschäftigt, als ich dazu kam. Ich versuchte mich auch etwas nützlich zu machen, aber der Ausgang war abzusehen. Wir beendeten schliesslich die Bemühungen. Er hinterlässt eine Frau und drei Kinder.

Zunächst kam die Kripo, dann auch die Gerichtsmedizin. Sie waren noch bis in den Abend beschäftigt.

Nach dem Ereignis setzten wir (alle, die daran beteiligt waren) noch einmal zusammen und besprachen die Situation. Es war für alle ein sichtlicher Schock. Dass so etwas vorkommt, hatte man schon vorher in Schweden und anderen europäischen Ländern beobachten müssen, aber hier? In diesem malerischen kleinen Ort, der vor allem im Sommer mehr Touristen als Einheimische beherbergt? Unfassbar.

 

Flüchtlingskrise – auch in Schweden

Wie auch in anderen Ländern werden die Asylbewerber auch hier in Sammelunterkünften beherbergt. Bis in den späten Herbst hinein war ein Teil von ihnen auf einem Campingplatz untergebracht. Wo sie jetzt sind, weiss ich nicht. Fakt ist aber, dass auch die ruhigen, bedachten Schweden kein Konzept  für die Flüchtlinge haben. Für so ein Flächenland wie Schweden, wo im Durchschnitt 22 Einwohner auf einen Quadratkilometer kommen (Deutschland 228 Einw./qkm) errinnert die normale Versorgung manchmal schon etwas an das “Leben im Busch”. Jetzt kommen mal eben mehere Hundertausend hinzu, eine gigantische Aufgabe. In Rättvik machen die Flüchtlinge fast 10% der Einwohner aus, also eine ganze Menge.

Man kann viel über die Ursachen diskutieren: posttraumatische Reaktionen, Psychosen o.ä., politisch motiviert (eher unwahrscheinlich), religiös (?), kriminell? Man wird keine allgemein gültige Erklärung finden. Muss man auch nicht unbedingt, solange keiner mit einer IS-Flagge in der einen und einem Messer in der anderen herumrennt wird die pure Erkenntnis auch nicht unbedingt weiterhelfen.

 

Integration in ein normales Leben!

Wichtiger ist viel mehr die Frage der sogenannten “Integration”. Was bedeutet dieses Wort, das so sehr mit Emotionen aufgeladen ist? Nicht alle Menschen müssen unbedingt in die europäischen Gesellschaften komplett integriert werden – sofern sie wieder zurückgehen. Einheimische Bevölkerungsgruppen wollen auch z.T. keine derartige Integration.

Viel wichtiger: Sie sollten in ein normales Leben integriert werden, ohne Gewalt und Krieg. Dazu gehört Sprache und Arbeit, aber vor allem viel Geduld, Kraft und Willen – von allen. Es ist keineswegs so, dass nur unqualifizierte Menschen flüchten. Es gibt sehrwohl gebildete und ausgebildete. Solange sie aber wie arbeitslose Teenager herumhängen (die gibt es übrigens auch in Schweden), werden sie wie pubertäre Jugendliche ein höheres Risiko haben Dummheiten zu machen und die Gesellschaft zu gefährden.

 

“Schwer reinzukommen”

Dass das schwedische System mitunter genauso hohl ist wie das deutsche, zeigt ein Beispiel: ein Arzt aus einem europäischen Nicht-EU-Land muss zum Beispiel ein Sprachniveau erreichen, das fast dem eines Muttersprachlers entspricht (C1). Dann erst bekommt er eine Legitimation als Arzt (sicherlich auch mit anderen Auflagen). Zur gleichen Zeit kann ich (als ebenfalls ohne jegliche Schwedischkenntnisse kommender Arzt) bei einem deutlich niedrigeren Sprachniveau (B2)  meine Legitimation bekommen! Und das bei einem grassierenden Mangel an medizinischem Fachpersonal!!! So arbeiten einige ausländische Ärzte als “Unterkrankenschwestern” (undersköterska)! Selbst wenn die Aspiranten dann endlich mal das Sprachniveau erreicht haben, dauert es Monate, bis sie endlich das ersehnte Dokument in den Händen halten.

Schweden schneidet sich ins eigene Fleisch, indem es besoders die qualifizierten “Invandare” (Einwanderer) im Regen stehenlässt, zudem es hier einen Mangel an Kräften gibt. Ähnlich kann die Situation auch in anderen europäischen Ländern aussehen.

An der Stelle sei mir kurz meine Meinung gestattetMan sollte verstehen, daß die Politik der westlichen Länder, aber natürlich auch Russlands usw. indirekt maßgeblich  beteiligt ist an der Situation, die wir jetzt im Nahen Osten bis Zentralasien und Nordafrika beobachten. Das ist die Politik der letzten Jahrzehnte, und daß die EU nichts daraus lernen möchte sieht man beispielhaft an dem aktuellen Handel mit der Türkei. D.h. aber nicht, dass Europa einzig verantwortlich ist, man sollte aber jetzt beginnen Fehler zu korrigieren und richtig zu handeln.

Soviel zur Politik, über die man bekanntlich zu viel streitet. Demnächst werde ich mal beschreiben, wie auch uns die Hürden hier einiges an Kraft geraubt haben, obwohl wir einen anderen Hintergrund haben und auch, wieso manche wieder nach Deutschland zurückgehen.