Nun sind so viele Monate vergangen, seitdem ich das letzte Mal etwas geschrieben habe… ich bitte den durchlauchten Leser um Verzeihung… 😉
Nein, ich habe keine „verlängerte Sommerpause“ gemacht mit meinem Blog. Nein, keine Reise, kein Strand und auch keine Faulheit oder Frustration haben mich vom Schreiben abgehalten. Es waren „seriöse“ Gründe, fernab von Leichtigkeit, Unbeschwertheit oder gar inspirierendem Frohsinn.
Das große Projekt für 2019 war die Facharztprüfung. Um es vorweg zu nehmen: ja, ich habe sie bestanden.
Jahrelange Sklavendienste, Erniedrigung und Zweifel sollten endlich ein Ende haben – zumindest in der Vorstellung. Den praktischen Arzt gibt es in Deutschland seit den 90er Jahren nicht mehr, also muß man mindestens Facharzt sein, will man sich niederlassen und nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken. Das ist natürlich alles etwas überspitzt („Sklaverei…“), aber in Zeiten, in denen der „gute Onkel Doktor“ vom „Menschenkenner“ zum Dienstleister verkommen ist, (Pseudo-) Leistung und Zertifizierungen sich besser „auszahlen“ als Empathie, kann man sich dem Druck (erst einmal) nur fügen.
Programmierte Arbeitslosigkeit
Ja, Ihr lest richtig, ich war dieses Jahr arbeitslos! Mein bisheriger Arbeitsvertrag endete Ende April, da er an die Förderung von Krankenkassen (KK) und Kassenärztliche Verinigung (KV) gebunden ist.
Es ist so: Es würde kein Hausarzt mit eigener Praxis einen Weiterbildungsassistenzen (das ist ein Arzt in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin in einer Praxis) für ausreichend Geld anstellen können bzw. wollen: er kostet nur, aber man kann nicht mit diesem angestellten Arzt abrechnen. Das bestimmt die KV, die im ambulanten Bereich entscheidet, wer sich wie und wo niederlassen darf.
Da wir bekanntermassen zu wenige Allgemeinmediziner haben, wurde vor Jahren von KK und KVen (jedes Bundesland hat seine eigene) eine Initiative gegründet, um für mehr Allgemeinärzte zu sorgen: ein Förderprogramm, bei dem KKen und KVen jeweils zur Hälfte das Einkommen des Weiterbildungsassistenten zahlen. Damit soll erreicht werden, dass Praxisärzte in etwa so viel bekommen, wie die Klinikärzte. Somit würden sich auch mehr Ärzte in finanzieller Hinsicht wieder für die Allgemeinmedizin entscheinden (können).
Die KV+KK bestimmen nun, nur so lange zu zahlen, bis der Weiterbildungsassistent mit seiner Ausbildungszeit zu Ende ist und nur noch die Prüfung machen muss. Wann das der Fall ist, bestimmt wiederum die Ärztekammer.
Zur Prüfung selber kann man sich erst kurze Zeit vor Ablauf der Weiterbildungszeit anmelden, ABER die Wartezeit BIS zur Prüfung selbst kann locker 3 Monate betragen!!! In dieser Zeit wartet (und lernt) man und wird nicht mehr bezahlt.
Also bleibt nur der Gang zum Arbeitsamt.
“Haben Sie Migrationshintergrund?” – Wo der Kunde nicht König ist
„Sie gehen durch die Tür dort, setzen sich an einen Computer, machen eine Anmeldung mit dem Login und Passwort, das hier auf dem Blatt Papier steht, folgen den Anweisungen auf dem Computer und warten dann bis ein Kollege Sie aufruft.“ Ich bin am Thresen des Empfangs der Arbeitsagentur, bedanke mich bei der freundlichen Dame und tue wie mir geheißen. Ich gehe durch die Tür, melde mich an und warte. Ich werde jetzt als “Kunde“ der Arbeitsagentur geführt, ein Begriff, der an Verhöhnung eigentlich kaum zu überbieten ist. Nicht etwa, dass ich das persönlich nehme, aber jemand, der wirklich Arbeit sucht und in der Klemme sitzt, sieht das sicherlich nicht so entspannt.
Ich bin dran. Mir gegenüber sitzt ein junger Mann, der meine Daten überprüft. Die erste Frage überrascht mich: „Haben Sie Migrationshintergrund?“ Jetzt bin ich aber baff! „Natürlich!“, antworte ich, „ich komme aus Berlin!“. Er muss grinsen, wahrscheinlich muss er die Frage stellen, aber warum eigentlich? Also wenn ich Abdullah oder Bruschnekowski heißen würde, hätte ich das ja noch verstanden, aber ich habe noch nicht einmal berlinert. Vielleicht hätte ich ihn mit einem illustren „Grüeziwohl!“ auf schwyzerdütsch begrüßen sollen? Damit hätte ich ihn wohl überfordert…
Obwohl der Kunde König ist, wird mir nichts zum Trinken angeboten. Naja, was soll`s, ich will hier eh schnell wieder weg und lernen. Immerhin bekomme ich den Antrag auf Arbeitslosengeld zusammengeschustert und einen Termin bei der zuständigen Sachbearbeiterin.
Zwei Wochen später habe ich dann den Termin. Sie sei hauptsächlich mit Juristen und Ärzten beschäftigt und kenne das ganze Prozedere bereits. Da ich bereits eine Stelle in Aussicht habe, erübrigen sich Interventionen der Arbeitsagentur. Wir unterhalten uns sehr nett eine halbe Stunde. Wie sich herausstellt wohnt sie in dem Dorf, in dem ich anfangen werde zu arbeiten. Die Welt ist klein, vor allem in Osnabrück.
„Lerne, lerne, Facharzt baue“ *
*in Anlehnung an „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ 😉
Die Tage und Wochen haben es in sich. Ich werde zwar nicht mehr so bezahlt, wie ein Klinikarzt, der auf seine Facharztprüfung wartet, aber ich muss auch nicht mehr arbeiten und kann lernen auf Kosten der Arbeitsagentur. In wechselnden Bibliotheken und auch Cafés lerne ich stundenlang. Ich lese Prüfungsprotokolle und die schiere Vielfalt und Grenzenlsogkeit des Faches Allgemeinmedizin lassen mich das ein oder andere Mal verzweifeln. Egal, weitermachen, den Kopf vollstopfen, bis der mentale Würgereiz kommt, getrost der alten Weisheit: “Immer rin in die hohle Birne!”

“Klo-Lektüre”, Unibibliothek Osnabrück. Nicht von mir wohlgemerkt! Und: alle WCs, sogar im Bürgeramt sind in schummriges blaues Licht getaucht, sieht man den Dreck nicht so…
Ich gehe in die Mensa neben der einen Bibliothek hier in Osnabrück. Ein komisches Gefühl: all die jungen Leute hier, nur die “Brigade” an der Kasse und am Thresen erinnert daran, dass wir in einer alternden Gesellschaft leben. „Das macht dann 9,50 Euro“ wirft mir die Kassiererin hektisch entgegen. Hinter mir stehen dutzende Studenen mit ihrem Futter. Auf meiner Mensakarte finden sich nur 4 Euro, den Rest will ich bar bezahlen. „Ja das geht nicht“, raunt sie mir ungeduldig entgegen. „Das geht so nicht, das musst Du blablabla“ Also diese Stimme und Art erregt mich schon auf unschöne Weise. Bin ich hier im Osten?, denke ich mir. In solchen Lern-Stressphasen rege ich mich innerlich schnell auf, ich sage in diesem Fall aber nichts. „Hast Du das nicht anders?“ Du? Hat sie gerade Du gesagt???? Wieso duzt die mich jetzt??? Ich bin geflasht, der Herzschlag geht hoch und ich stelle mir vor, wie mir schon die kleinen Äderchen im Weiß des Augapfels hervortreten. Ich fühle mich irgendwie beleidigt…
Ich löse das monetäre Problem, indem ich zum Automaten renne, diese scheiß Essenskarte mit zu viel Geld auflade (ging technisch nicht anders) und mir endlich mein Mittagessen hole. Ich setze mich an einen Tisch mit meheren Studenten mit zu großem Selbstbewußtsein: kaum einer schaut auf, geschweigedenn eine verbale Regung. Egal,… aber diese Kassierin… Die Frage, die mich vor allem beschäftigt: Warum regt es mich so auf, dass sie mich geduzt hat? Bin ich nicht zu alt für so was??? NEIN! Mir wird es plötzlich glasklar: Ich bin so jung, dass sie mich geduzt hat! Wow, ein geiles Gefühl, und schon sitze ich grinsend zwischen alle den anderen jungen Wilden und genieße mein Mittagessen….