Vor ein paar Tagen wurden wir zusammen von einer Kollegin eingeladen. Sie lebt zusammen mit ihrem Hund “Kaxa” und meheren Pferden auf einem Hof in einem kleinen Dorf nördlich von Rättvik. Es schneite wunderbar und wir konnten einen herrlichen Spaziergang zum zugefrorenen Ljugaren-See machen. Da es seit Wochen unter Null gewesen war, war der See sicher zu begehen.
Zwei meiner anderen Kollegen, die auch mit von der Partie waren, griffen sich einen Schlitten, der mich eher an einen Rollator mit Kufen erinnerte als an einen Schlitten. Eine kleine Ablagefläche, Handgriffe und als Bremsen sogar zwei Metallstäbe, die man bei Bedarf in den Schnee schieben kann.
Meine Kollegin heisst mit bürgerlichem Vornamen “Back-Marit”. Die Schweden lieben Doppelnamen. Es gibt sie in allen Farben und Kombinationen, auch wenn das für uns etwas exotisch klingen mag.
Nenn Dein Kind nicht Peter-Niklas!
Ein besonderer Name stellt “Peter-Niklas” dar, ein Name, den man unbedingt bei der Wahl des Namens für einen Jungen meiden sollte: es ist der liebevolle Audruck für das, was die Engländer “Willy”, die Franzosen manchmal “bite” oder die Italiener auch mal “pisello” nennen. Ja, ganz genau, das ist der kleine (oder große) “Peter-Niklas”. (Wer es jetzt immer noch nicht weiß, dem kann ich auch nicht mehr helfen…)
Back-Marit ist bereits Pensionärin, gehört aber noch längst nicht zum “Alten Eisen”. In den 90er Jahren hat sie im Rahmen der UN-Missionen in Somalia und Bosnien als Ärztin “gedient”. Mehere Embleme hängen in der Eingangshalle Ihres großen Hauses. Ehemals eine Scheune, hat sie es in jahrelanger Arbeit liebevoll ausgebaut und dekoriert. Zusammen mit ihrer 12-jährigen Hündin “Kaxa” lebt sie hier, etwa 20 km vor Rättvik in einem kleinen Dorf. Ganz alleine kümmert sie sich um ihre fünf Pferde und den Hof. Wenn man ihr so zuschaut, merkt man wieviel Energie sie noch hat und es beschleicht uns verweichlichte Großstädter, die wir mehr als 20 Jahre jünger sind, etwas Schamgefühl.
Wenn Not am Mann ist, oder sie Langeweile hat, hilft sie immer wieder in der Vårdcentral (unserem “MVZ”) aus. Das ist übrigens nicht selten. Wir haben noch drei weitere Ärzte, die nebenbei noch ihre Rente aufbessern, je nachdem wie es ihnen passt. Nicht die Altersarmut treibt sie zur Arbeit, sondern weil sie es “lustig” finden. – Mal ganz ehrlich: wo findet man das in Deutschland?
Unten am See hat Back-Marit noch einen kleinen Schuppen: ein kleines gedrungenen Hüttchen, das die Garage für ihr Boot darstellt. Ein altes Ruderboot von 1883, etwa 4 m lang und 1,50 m breit. Die anderen “Garagen”, die hier am Ufer herumstehen sind noch älter. Die ältesten stammen aus dem 15.-16. Jahrhundert.
Draussen tollt derweil “Kaxa” durch den Schnee und genießt die Aufmerksamkeit, die sie von den Besuchern bekommt. Die ältere Hundedame ist genauso fit wie ihr Frauchen – und liebt Schnee. Immer wieder rollt sie sich hin und her, steckt die Schnauze tief in den Schnee, um diesen anschliessend durch die Luft zu wirbeln. Dann springt sie auf und tobt los.
Kurz bevor wie wieder zurück sind kommen wir noch an einer alten kleinen alten Fabrik vorbei. Auch ganz aus Holz. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte hier eine Familie eine kleine Fabrik, die Flaschenzüge und andere Metallteile herstellte oder zumindest zusammenbaute. Wenn man in Deutschland an die Industrialisierung denkt, dann kommen einem gleich die Ziegelsteinbauten in den Sinn, die man in den Großstädten vielleicht noch entdecken kann. Ruß- und Ölverschmierte Gesichter auf alten Schwarz-Weiß-Fotografien, Mietskasernen, überfüllte Wohnungen, in denen die Menschen um einen Schlafplatz ringen…
Und hier? Mitten in der schwedischen Prärie? Wäre interessant mehr über die damaligen Lebensbedingungen der in der Industrie tätigen Arbeiter zu erfahren, in einer Gegend, die noch heute dünn besiedelt und manchmal sogar unberührt wirkt…