Teil 1 – Zeitreise
Dahoam – Ja, so sagen das die Bayern, wenn sie über ihr Zuhause sprechen. Im Laufe unseres persönlichen “Nomadentums” stellt sich natürlich immer mal wieder die Frage: Wo ist mein Zuhause? Ist das auch die Heimat? Was ist Heimat oder Zuhause? Ist es der gleiche Ort wie der von Olga?
Ein gewisses heimatliches Gefühl stellt sich immer wieder dann ein, wenn wir nach Berlin fahren, so wie jetzt Anfang März. Berlin bleibt einfach im Herzen – sowohl bei mir, wie auch bei Olga. Olga sagt, es sei “ihre” Stadt, und dabei schwingt eine ganz tiefe Verbundenheit mit. Berlin ist schön, aufregend, aber auch hart, es verletzt und kann auch krank machen.
Wir sitzen auf der A2 zwischen Hannover und Magdeburg, kurz hinter Helmstedt. Nächste Ausfahrt ist Marienborn, ein kleiner unscheinbarer Ort. Ein verlassener, abgewrakte Bahnhof erinnert an bessere Zeiten, die mindestens 50 Jahre zurückliegen müssen. Daneben ein Bahnsteig aus Beton, von der Deutschen Bahn lieblos hingeknallt in die Landschaft, wie aus einer anderen Epoche. 5 km weiter befindet sich die einer der schicksalshafter Ort der Nachkriegsgeschichte: der Grenzübergang Helmstedt/Marienborn. Deutsche Geschichte und Geschichte des Kalten Krieges zum Anfassen!
Mal für die Jüngeren unter uns: Ich weiß ja, wie Schulbildung in Deutschland ausschaut und ich bewundere aufrichtig die Gabe des Philosphierens und dessen Förderung im Unterricht, aber Allgemein- und Basisbildung gehörte (in den letzten Jahrzehnten) nicht zu den Prioritäten des (westdeutschen) Bildungssystems. Bestes Beispiel sind Schüler, die Hitler für den ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik halten… Daher hier eine kleine Anmerkung zum Kalten Krieg. Der Name suggeriert zwar eine kriegerische Auseinandersetzung im unteren Bereich der Kelvin-Skala, hat jedoch damit nichts zu tun – auch wenn die Erderwärmung damals noch nicht so zu spüren war. Es geht um zwei Weltblöcke, die sich gar nicht mochten, und ein jeder dachte, er sei der Gute und der andere der Böse.
“Wir beginnen mit der Bombardierung in fünf Minuten.“
In Wirklichkeit waren aber beide nicht nett zueinander und zumindest in einem der beiden mußten viele Leute wegen ihrer Meinung schon früher als gedacht eine Etage höher fahren (Himmel), oder wurden ein bißchen gefoltert. Die beiden B(l)öcke waren so stark bewaffnet, daß man große Angst hatte, es könnte einen riesigen Krieg geben, der die ganze Welt atomisieren würde. Mehrmals schrammte die Welt fast an einer solchen “Supernova” vorbei. Hochgerüstet und nervös war die Welt damals, geführt von zweifelhaften Persönlichkeiten. Zu den “Unterhaltungskünstlern” zählte z.B. R. Reagan, der bei einer Mikrophonprobe sagte: „Meine amerikanischen Mitbürger, ich bin erfreut, Ihnen heute mitteilen zu können, dass ich ein Gesetz unterzeichnet habe, welches Russland für immer für vogelfrei erklärt. Wir beginnen mit der Bombardierung in fünf Minuten.“ Sowjetische Streitkräfte wurden daraufhin tatsächlich in Alarmbereitschaft versetzt. Auch nicht schlecht war wohl die Rede vom Sowjetführer Chruschtschow , der 1960 auf einer UN-Vollversammlung 2,5 Stunden zunächst auf das Rednerpult trommelte und anschließend mit mit seinem Schuh darauf eindrosch. Der gleiche ließ dann seinen Außenminister gestehen, dass fliegende Gänse vom Radar als feindliche Flugzeuge erkannt worden waren… Noch ernster war die Lage bei einem NATO-Manöver 1983, das die Sowjets an einen tatsächlich bevorstehenden Angriff glauben ließ. Sie bestückten daraufhin Kampfflugzeuge mit Atomsprengköpfen in der DDR und in Polen und alarmierten ihre Atom-U-Boote. Die Nato-Führung nahm indes die Reaktionen der Sowjets nicht ernst. Erst Margareth Thatcher realisiert den Ernst der Lage und begann die westlichen Verbündeten zu einer Wende und Annäherung zu Moskau zu bewegen.
Einen Monat zuvor, im Oktober 1983, hätte es fast den Atomschlag gegeben, nachdem ein Computer in einer geheimen Überwachungszentrale der Sowjets mehrerew Raketenstarts aus Richtung Westen gemeldet hatte. Der leitende Oberst jedoch gab nicht den Befehl zum Gegenschlag, wie eigentlich vorgesehen, sondern meldete an seine Vorgesetzten, es handele sich um einen Fehlalarm.
Daß es also nicht zum Supergau kam, verdankt die Welt dem Umstand, dass es auf beiden Seiten doch noch ein paar Besonnene und nicht nur Besoffene gab.
Also: Der “kalter Krieg” hat nichts mit einer Verminderung der Brown’schen Molekularbewegung bei tiefen Temperaturen zu tun, die man in der kindichen Frühförderung bestimmt schon kennengelernt hat…
Zurück nach Marienborn. Hier war einer, wenn nicht der wichtigste Grenzübergang. Man hatte in den Verhandlungen erzielt, dass es drei Transitstrecken zwischen Westberlin und der Bundesrepublik geben solle. Hier konnten Berliner und Westdeutsche ohne Visum zwischen Westdeutschland und Berlin hin- und herfahren.
Grenzübergänge sind etwas ganz besonderes, fast überall auf der Welt. Hier wird Macht demonstriert und ausgeübt – und mitunter auch mißbraucht. Reisende können beliebig – “nach Geschmack” – herausgezogen, gefragt und “gefilzt” werden. Für die Betroffenen eine nervzehrende Angelegenheit, weil sie nie wissen, wie es weitergehen wird. So ist das zumeist in den Nicht-EU-Ländern. Grenzübergänge sind auch immer Orte der Flucht, Orte des Schicksals. Die Grenzübergänge der “Interzonengrenze” haben eine traurige Geschichte. All das, aber auch der Aufbau hinter den Kulissen, die Strukturen usw. kann man in Marienborn begutachten. Es ist ein Freiluftmuseum, in denen die überdachten Grenzanlagen angeschaut und angefasst werden können. Dazu sind einige Baracken der Grenzer ausgebaut zu einem Museum. Originalteile der Ausrüstung und private Gegenstände, Kleidung können bestaunt werden. Das Mobiliar, die Schreibmaschine, ja sogar die Tapete sind original! Man kann eintauchen in die Zeit der Teilung. Für Nico ist vor allem die Schreibmaschiene interessant. Schnell ist er auf den Stuhl geklettert und hackt mit dem kleinen Zeigefingern darauf herum. Er kann dabei kaum über die Tischkante gucken. Hinter ihm an der Wand trohnt Erich Honecker auf einem Foto – der wohl zweite Bundeskanzler… (jetzt kann man mal googeln, wer das ist)
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie wir 1988 im Sommer zu meiner Tante Wiltraut nach Nürnberg fuhren. Um etwa 2 Uhr in der Nacht klingelte der Wecker. Wir frühstückten, zogen uns an und fuhren mit unserem alten Skoda nach Wannsee/Dreilinden. Ein Jahr zuvor waren wir mit dem Auto aus dem Ostteil der Stadt “übergesiedelt”. Am Grenzübergang fächerte sich die Strasse in eine Vielzahl von Spuren auf. Sobald man den Boden der DDR berührt hatte, wurden die Ausweise (inkl. Kinderlichtbildausweise) auf eine Art Fließband gelegt. Während man also in der Schlange wartete, wurden die Dokumente zum nächsten 100 m entfernten Wachhäuschen befördert und dort schon einmal begutachtet. Derweil konnte es sein, dass die Grenzer Reisende willkürlich herausholten und auf verbotene Gegenstände oder geschmuggelte Personen untersuchten. Nach ein paar weiteren Häuschen war es dann geschafft, und weiter ging die Reise auf der holpernden Platten-Autobahn gen Westen. Von Berlin aus gab es drei Autobahnen in die Bundesrepublik: eine Richtung Hamburg, die andere nach Helmstedt und die Dritte nach Hof/Nürnberg. Diese durften vom Transitreisenden nicht verlassen werden, keinen Millimeter (Raststätten an der Autobahn ausgenommen)!
Es ist kalt und wir beamen uns wieder ins Jahr 2018. Der Stop hier hat sich wirklich gelohnt. Man kann einen Besuch der Gedenkstätte Marienborn wärmstens empfehlen!
Weiter geht es auf der A2 über Magdeburg nach Berlin. Als wir Wannsee ankommen ist es wieder da: dieses unbeschreibliche Gefühl in Berlin, irgendwie zu Hause zu sein. Ein Zuhause…