Didi trifft den Punkt!

Ich habe mir lange überlegt, ob ich diesen Beitrag schreibe, oder vielmehr, ob ich ihn veröffentlichen sollte. Die aufgeheizte Stimmung führt zu immer mehr Anfeindungen gegenüber Menschen, die sich positionieren. Bislang bin ich verschon geblieben, wahrscheinlich weil ich unbedeutend bin und meine Zielgruppe vor allem Freunde, Bekannte und Verwandte sind. Die Zahl der Likes und Klicks und “Däumchen-hoch” sind mir nicht so wichtig.

Bei vielen Themen ist die Konfrontation meist nicht ganz so gravierend, aber schon das Thema Nahostkonflikt und Migration führt zu einer gereizten Grundstimmung – auch innerhalb von Familien. Ich habe mich aber schließlich doch entschieden hier etwas öffentlich zugänglich zu schreiben.

Die Welt dreht durch. So könnte man die aktuelle Situation beschreiben. Streiks hier und dort, Arzneimittelknappheit, abgehörte Offiziersgespräche, der Krieg im Nahen Osten, der Krieg im “noch näheren Nahen Osten” – quasie vor unserer Haustür -, Chaos und Gewalt in Haiti …

Die unnötigen kriegerischen Auseinandersetzungen besonders in unserer geografischen Nähe belasten uns alle. Provozierende “Ideen” wie eine nicht ausgeschlossene Entsendung von EU/NATO-Bodentruppen in der Ukraine (Macron, 27.02.2024) oder Russlands Drohungen mit Atomwaffen zerstören unser aller friedlich geglaubtes Weltbild. Im Schatten dieses nahen Krieges dann auch noch dieser furchtbare Krieg zwischen Israel und Palästina.

Haß ist immer abzulehnen!

Sie ist aufgeheizt, die Stimmung in unserem Land, ganz besonders wenn es um das Verhältnis zu Israel geht. Da wird mit Worten wie “antisemitisch” scheinbar inflationär umgegangen. Übrigens: Ich habe bis heute nicht ganz verstanden, wie die Bedeutung dieses Wortes entstanden ist. Semiten sind eigentlich Völker, die eine semitische Sprache sprechen. Dazu gehören neben Israelis auch Araber, Aramäer, Malteser, manche Völker am Horn von Afrika. Nun gut, ich lasse mich gerne Besseren belehren, aber genau wie sicherlich die Mehrheit der Menschen in Deutschland Judenhass inakzeptabel findet, ist derselbige für mich ebenso inakzeptabel! Generell Hass ist kompromisslos abzulehnen. Gegen alle, ohne Ausnahme!

Ohne Ausnahme? Nun ja, hier scheint man in Deutschland (und sicherlich anderswo auch) zu differenzieren. Judenhass habe ich im Alltag so noch nicht beobachten können (den gibt es sicherlich), vielmehr aber die abfälligen Kommentare über Araber, Türken und Afrikaner und andere, vor allem wenn es Muslime sind (“die machen Kopftuchmädchen“, “Drogendealer“, Übervölkerung durch fremde Kulturen…).

Die moralischste Armee der Welt

Mein Vertrauen in die deutsche Politik wurde einmal mehr erschüttert durch die unverhohlene Relativierung von Leid im Namen der deutschen Geschichte. Ca. 1500 israelischen Opfern stehen ein Vielfaches an palästinensischen Opfern gegenüber. Eine hochgerüstete Armee (“die beste Armee der Welt“), vor allem aber “die moralischste Armee der Welt” führt im Namen des Fast-Alleinherrschers “Bibi” Nethanyahu eine Art Vernichtungskrieg gegen ein Volk, das eines der ärmsten ist. Getrieben von wahnhaft rassistisch anmutenden Bestrebungen die Ausrottung der Hamas als Garantie für das eigene politische Überleben anzusehen, setzt er ebenso die Sicherheit und Existenz seines Landes aufs Spiel.

In Gaza wiederum verfliegt die verbliebene Existenz quasie im Kugel- und Bombenhagel. Bereits vor dem Krieg lebten die Menschen in Gaza in menschenunwürdigen Bedingungen. Die Schuld alleine der Hamas zuzuschreiben ist zu einfach.

Im Krieg gibt es keine Moral

Übrigens: eine moralische Armee, gar die moralischste Armee ist ein Farce. Armeen sind für Kriege da (wenn auch zur Verteidigung) und Krieg bedeutet immer Leid und Verderben – auch wenn die Gründe für den Krieg noch so moralisch erscheinen. Es wird getötet, vergewaltigt, zerfetzt, traumatisiert. Der Mensch wird zur Bestie. Da gibt es keine Moral. … Haben wir nichts gelernt?

Nun also stehen Terroristen mit selbstgebastelte Raketen und Kalashnikows (ohne dass ich das verharmlosen möchte!) einer hochgerüsteten Kriegsmaschinerie gegenüber, die sicherlich sogar den US-Streitkräften den Rang ablaufen würde. Und diese Maschinerie wird gnadenlos eingesetzt. Daß die Hamas zivile und schutzbedürftige Arealen wie Krankenhäuser und Schulen durchdrungen hat und jetzt Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt ist nur ein Teil des palästinensischen Dramas in Gaza. Dazu muß man wissen, dass israelische Dienste Interesse an einer Zersplitterung der palästinenischen Zivilgesellschaft und Machtstrukturen hatten und die Hamas ein gewolltes Instrument war. Die wiederum hat nicht nur die Bevölkerung und Oppositionelle in ihrer Gewalt, sondern zu ihrer Legimitierung auch staatliche Aufgaben übernommen: Gesundheitseinrichtungen, Kindergärten, Wohlfahrtsorganisationen, sprich alles das, was ein funktionierender Staat eigentlich leisten müsste – der aber durch israelische Interessen nicht gewollt und geschwächt wurde. Die Unterscheidung “zivil” und “Hamas” ist hier kaum noch möglich. Man muss vielmehr einen bewaffnerten Teil von einem zivilen Teil unterscheiden.

Der Schutz aller Völker sollte Staatsräson sein

Ob in Anbetracht der übertriebenen und schier blinden Gewalt der kriegsfreudigen Teile der israelischen Politiker und Armee hier der Gegenstand des Völkermordes erfüllt ist, stellt eine nachrangige Diskussion dar, solange Menschen getötet werden oder verhungern. Im Westjordanland wiederum findet seit Jahrzehnten eine Vertreibung der angestammten Bevölkerung statt, die sich wahrscheinlich mit dem Begriff der ethnischen Säuberung beschreiben lässt. Die deutsche Außenpolitik enttäuscht jedoch: anstatt für Frieden einzutreten enthält sie sich bspw. wiederholt im UN-Sicherheitsrat, als es um eine Waffenruhe ging. Die vielen palästinensischen Opfer scheinen kaum eine Rolle zu spielen. Ist ein israelisches Opfer mehr wert? Israels Sicherheit sei Deutschlands Staatsräson – sollte nicht der Schutz aller Völker Staatsräson sein…?

Zynisch: Wenige Wochen später appellierte Frau Baerbock übrigens für den Kampf für eine gerechtere Welt… (Tagesschau: Aussenministertreffen G20 in Rio)

Die Ignoranz und Arroganz der westlichen Diplomatie ist ein gefährliches Spiel. Daran ändern auch nicht die langsam sich regenden vorsichtigen Appelle an Israel und auch die erste Lieferung von Nahrung und Medizin mittels eines etwas größeren Fischkutters aus Zypern. Auch der Abwurf von Gütern über Gaza gleicht einer Kapitulation und ist lediglich ein Zucken der Unfähigkeit und vor allem Unwilligkeit.

Ebenso wie die Politik formiert sich auch ohne viele Zwischentöne die Gesellschaft und Kultur. Die diesjährige Berlinale ist ein gutes Beispiel. Blind wird mit Antisemitismusvorwürfen gegen jegliche Kritik gewettert. Judenhass konnte ich aus der Israel-Kritik jedoch nicht wirklich entnehmen, wohl aber Kritik an der israelischen Politik und Kriegsführung. Und diese ist definitionsgemäß nicht antisemitisch…

Daß nicht alle Israelis der Meinung der Israelischen Regierung und unserer Politiker sind, hatte ich in meinem letzten Beitrag bereits angemerkt: Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt, die Hoffnung stirbt nie! Auch ein Verweis auf Deborah Feldman lohnt: Deborah Feldman bei ARTE

Kürzlich hat eine Ikone der deutschen AlbereiDieter Hallervorden – mit einem Brief an den Bundeskanzler Scholz Aufmerksamkeit erregt. Darin drückt er nicht nur seine Sorge aus, sondern fordert auch den Einsatz der deutschen Politik für den Frieden:

Ich kann nur sagen: Didi hat recht! Ich kann mich ihm nur anschliessen!

In diesem Sinne hoffe ich auf Frieden in Nah und Fern und wünsche uns Besonnenheit im Umgang mit allen diesen Themen und auch miteinander!

Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt, die Hoffnung stirbt nie!

Der Titel – das Zitat eines unbekannten Autors – soll Hoffnung geben.

Oktober 2023 – Es drängt sich der Gedanke auf, dass nach Corona -als hätten wir nicht genug Probleme in der Welt- noch mehr Krisen über uns hereinstürzen: der Krieg in der Ukraine geht weiter, Erdbeben in Marokko und jetzt auch noch der Konflikt zwischen Israel und der Hamas. Unzählige andere Konflikte schaffen es erst gar nicht in die Nachrichten. Es ist zum Heulen.

Die Bilder sind schrecklich, das Leid, der Schmerz der Angehörigen, man mag es sich nicht ausmalen. Kein Mensch und schon gar kein Kind hat es verdient durch Gewalt zu sterben oder Angehörige zu verlieren, egal welcher Abstammung, Nationalität oder Glaubens diese Person ist. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Dies gilt für alle Menschen.

Man sollte aber eine Verpflichtung verspüren, es aufzuarbeiten und zu verstehen, wie es dazu kommt. Nur dann läßt sich weiteres Leid verhindern, egal wo es geschieht und ob man Teilhabe an einem Konflikt hat oder nur “Schaulustiger” ist.

Aber dieses Thema scheint uns aktuell vollkommen überrascht zu haben. Wir waren vollkommen konzentriert auf das Thema Ukraine, auf die Ampel-Koalition und Sarah Wagenknecht, Klima-Kleber… Oder war es unsere Ignoranz und Arroganz, dass wir es nicht nötig haben, diesem Konflikt weiter Aufmerksamkeit zu schenken? Immerhin “lief es doch ganz gut” in den letzten Jahren, oder? Zumindest für uns, weit weg vom Geschehen und “immer auf der richtigen Seite“: der Seite der freiheitlich-westlichen Demokratien mit Israel als einzigem demokratischen Bollwerk im Nahen Osten.

Nun, so einfach ist es auch nicht. Israel ist trotz der Korruption noch am ehesten eine Demokratie, aber rechte Kreise haben es dem Land und den freiheitlich denkenden Menschen das Leben immer schwerer gemacht. Bis kurz vor dem Angriff der Hamas gingen immerhin zehntausende Menschen auf die Stra?e, um gegen Netanyahus Entscheidung zur Entmachtung des obersten Gerichtshofes zu protestieren. Auch die Siedlungspolitik und die von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommene Unterdrückung von Palästinensern geht weiter. Teil des israelischen Sicherheitskonzeptes ist auch die errichtete Mauer, also die Sperranlagen durch das Westjordanland, das der Internationale Gerichtshof als Verstoß gegen das Völkerrecht beschreibt. Ebenso dient die Militarisierung der Bevölkerung auf hohem Niveau. Das öffentliche Tragen von Waffen gehört hier zur Normalität.

Israel ist ein vielfältiges und schönes Land: landschaftlich, kulturell, religiös und ethnisch. Dazu kommen die vielen verschiedenen Meinungen. Dem wird die stark vereinfachte Wahrnehmung durch die hiesige Politik und Medienlandschaft aber kaum gerecht, ebenso wenig dem Sicherheitsbedürfnis Israels. Genauso wenig wie die Hamas einen Alleinvertreterstatus für alle Palästinenser für sich beanspruchen darf, trifft dies auch auf die seit Jahren regierenden Hardliner in der Knesset zu.

Die ständige Wiederholung der Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson verklausuliert nur die Ahnungs- und Hilfslosigkeit vieler deutscher Politiker. Wem wirklich an der Sicherheit Israels gelegen ist, versteht, dass diese untrennbar mit der Sicherheit der Palästinenser verbunden ist. In Israel selber haben das viele Menschen längst begriffen und protestieren immer wieder gegen die eigene nach rechts rückende Politik. Aktivisten, Verbände, Betroffenenvereinigungen engagieren sich jedoch seit Jahrzehnten für eine Aussöhnung. Auch diese sind Opfer der Hamas-Angriffe und der Gegenreaktionen der israelischen Armee. Nur: sie werden nicht gesehen oder gar unterstützt. Dabei steht ihre Meinung und Aktivitäten für die Selbstkritik einer offenen pluralistischen Gesellschaft, die nach Aussöhnung strebt. Totgeschwiegen von der eigenen Führung – und auch von unseren Politikern…

Diese Menschen werden nicht aufgeben. Sie haben bereits viel einstecken müssen, Rückschläge und Anfeindungen erleben müssen und werden trotzdem an ihre Ziele glauben. Diesen Menschen gehört unser Respekt!

Und Ihnen gebürt Aufmerksamkeit. Um sie zu Gehör und “Geäug” kommen zu lassen, habe ich hier zum Ende meines Beitrags einige Seiten verlinkt*:

Physicians for Human Rights

(Ärzte für Menschenrechte): sie sind seit Jahren aktiv und unterstützen Ärzte und Patienten in den besetzten Gebieten https://www.phr.org.il/en/

Breaking the Silence

https://www.breakingthesilence.org.il (Das Schweigen brechen): ehemalige israelische Militärangehörige, die über die die Drangsalierung und Ungerechtigkeiten in den besetzten Gebieten berichten

Omri Boehm

Israelischer Philosoph, von dem wir viel über unsere eigene Politik lernen können. Hier ein Beitrag von 2021, dem aktuell vielleicht wichtigsten: https://qantara.de/artikel/interview-mit-dem-israelischen-philosophen-omri-boehm-die-republik-haifa-ein-staat-für-alle?nopaging=1

“Promises”

Hier lassen die Dokumentarfilmer Ende der 1990er ausschliesslich Kinder zu Wort kommen, sowohl in Palästina, wie auch in Israel. Am Ende lernen sie sich kennen. Leider wurde der Erfolg von den bekannten Ereignissen der zweiten Intifada wieder zunichte gemacht.