“Morgens halb zehn in Deutschland“, so fing früher in der Werbung der Spot für das “Knoppers” an, in dem sich Handwerker in einer ersten Arbeitspause stärkten. Morgens halb zehn in der Arztpraxis habe ich schon einige Patienten “hinter mir”, vom Schulschwänzer bis zum Blinddarm oder was es sonst noch so gibt.
Vor mir sitzt ein älterer Herr, etwa Anfang 80. Er warte noch auf seine Frau. Die Tür geht auf und eine ebenso alte Dame tritt ein. Liebevoll blinzelt er ihr zu und sagt “Da kommt sie ja: meine Frau – das Grauen der Menschheit” und kichert in sich hinein. Sie ist aber auch nicht auf den Mund gefallen, droht ihm mit den Tabletten, die sie ihm immer zuteilt. Den ganzen Tag über würden sie sich so gegenseitig necken, sagt er. Irgendwie süß die beiden. Wenn doch nur alle Patienten so unterhaltsam wären – und so rüstig vor allem. Das Grauen der Menschheit findet sich zwar hier nicht, aber die Abgründe des menschlichen Daseins werden einem schon präsentiert. Man ist Arzt, Kummerkasten, Psychologe, Priester… ach ja, natürlich auch mal Mülleimer für die chronisch Unzufriedenen, für die alle Anderen Schuld an ihrem Dasein haben. Egal, jetzt steht erst einmal der Urlaub an. Sagenhaft ganze 5 Tage Urlaub haben wir dieses Jahr zusammen. Die restlichen Tage musste ich mir anderweitig aufteilen. Die Zeit war aufregend: erst im August den Notarztkurs in Düsseldorf, dann alleine in der Praxis arbeiten und jetzt kurzentschlossen in den Schwarzwald. Ganz spontan, 4 Tage vorher gebucht, hatten wir echt Glück gehabt, noch etwas zu bekommen.

“Rückwärts essen” – Autoweihe
Da wir unser neues Auto nicht gleich wieder “einsauen” wollen, haben wir uns selber bestimmte Grenzen auferlegt: es wird nicht gegessen und getrunken im Auto. Naja, um das alles praktikabel zu halten gestatten wir uns zunächst Wasser im Auto zu trinken. Im Stau kann dann auch mal Hunger dazu kommen und nun ja, der Kakao ist doch im Becher ganz sicher untergebracht… So geht das ne Weile gut mit nur wenigen Klecksen. Im Nordschwarzwald abseits der geraden Autobahn wird Nico aber wegen der vielen Kurven schlecht. Schnell noch der leere Kaffeebecher zum Auffangen nach hinten gereicht und schon sprudelt es hervor – retrograde Magenentleerung. Na super, das Auto ist eigeweiht. Wie war das noch mit dem nix essen und trinken im Auto? Naja, von Erbrechen hatten wir nichts gesagt…

Im schönen Alpirsbach, unweit von Freudenstadt haben wir uns einquartiert. Das Hotel liegt oberhalb des Ortes an einem Hang, an dem sich ein schmaler Weg hochzieht. Es ist wunderbar idyllisch und für ausländische Besucher bestimmt typisch “schwarzwälderisch”. Leider gibt es hier sehr viele Raucher, der Nachbar raucht um halb fünf morgens die erste Zigarette auf dem Balkon. Ansonsten gefällt uns der Ort. Von hier aus machen wir unsere Tagesausflüge. Wir sind hungrig nach Natur und bekommen davon reichlich.
Zunächst erklimmen wir ein paar bekannte Berge nahe der “Schwarzwald Hochstrasse“. Das Wetter ist anfangs trübe, wir laufen durch Nebel, Regen und tief hängende Wolken. Wir freuen uns trotzdem über die Natur, die Luft.
In den nächsten Tagen kommt aber mehr die Sonne raus, wir haben Glück und können einen wunderbaren Spätsommer erleben.

Stierkampf im Schwarzwald
Der Abreisetag beginnt mit einem Schrecken: Wir haben die Taschen gepackt und ich will das Auto nach oben fahren, um das Gepäck einzuladen. Auf dem schmalen Bergweg, auf dem auch Kinder spielen, kommt mir ein Kleintransporter entgegen gerast. Ob er die Bremse findet? Da ich nicht ausweichen kann, muss einer von uns rückwärts fahren. Da er aber so dicht aufgefahren ist, dass ich kaum sein Nummernschild sehen kann, bin ich es, der vorsichtig rückwärts fährt. Er bleibt aber genauso dicht an mir dran, als ob er mich runterschieben möchte. Als er in einer Haltebucht vorbeirasen möchte, hupe ich. Er springt raus und schreit mich an, was ich für ein Problem hätte, dann reisst er die Tür auf, kommt mit seinem bulligen Gesicht ins Auto und bedroht mich auf`s Übelste. “Ich breche Dir das Genick!”. Seine Augen sind aufgerissen, der Blick wie auf Droge oder psychotisch. Ich merke, wie hauchdünn seine Nerven sind, es fehlt nur ein Nanometer und dann rastet er aus! Im Bruchteil einer Sekunde schätze ich meine Chancen ein. Das läuft wie irgendwie programmiert, unbewußt ab, jenseits einer intellektuellen Ebene: Ich im Auto, er ein Bulle auf Adrenalin, mit dem Oberkörper in meinem Auto steckend – da habe ich keine guten Optionen. Also andere Strategie: ich entschuldige mich mehrmals, die Hände beschwichtigend erhoben, ihm zustimmend. De-Eskalation nennt man so etwas ja. Und zum Glück hat das funktioniert! Er haut noch einmal mit der Faust gegen das Auto und rast los. Puh, das war knapp.
Was hätte ich anders machen sollen? Diskutieren? Ihn darauf hinweisen, dass ich ihm nicht das “Du” angeboten habe? Oder vielleicht noch auf die Maskenpflicht und das Abstandsgebot aufmerksam machen? Bei der Nähe hätte ich glatt eine Zahnreinigung seines Raubtiergebisses durchführen können, allerdings hätte ich mir dann sicherlich auch eine Politur meiner Kauleiste eingefangen. Also alles richtig gemacht, ich habe keine Schramme und bis auf den Schreck nichts abbekommen. Allerdings merke ich mir das Kennzeichen. Zwar habe ich keine Zeugen, aber wenn Nico dabei gewesen wäre, hätte er den Schock seines Lebens bekommen.

Nach unserer Abreise aus dem Hotel fahren wir zur Polizeistation dieser Kleinststadt. “Montag bis Freitag von 9-12 und nachmittags… blablabla” lesen wir an der Tür. Und heute ist Samstag. Was für ein “ulkiger” Tag, wie lustig…. Also fahren wir nach Freudenstadt. Auch hier muss ich 20 min auf die Polizeibeamten warten, aber die waren immerhin auf Streife. Eine junge Polizistin und ihr ebenso junger Kollege nehmen meine Anzeige auf. Sie sind sehr nett und wirken kompetent. Sie zeigen mir Fotos von Personen, die auf meine Beschreibung passen und im Zusammenhang mit dem Fahrzeug stehen. Einer von denen könnte es sein. Sie dürfen zwar nichts sagen, aber lassen durchleuchten, dass dieser Mann der Polizei bereits bekannt ist. Nebenbei erwähnen sie, dass es hier in der Gegend sehr viele psychisch Kranke gibt… Na das beruhigt mich ja für den nächsten Urlaub hier…
Sicherlich wird die Anzeige im Sand verlaufen, aber wichtig war mir der Hinweis, dass dort auch kleine Kinder leben und spielen, die nicht verletzt (oder gar oder getötet) werden sollen durch so einen Verrückten.
Trotz dieses Erlebnisses war es eine wunderbare Woche in einer wunderschönen Region!

Es werden demnächst noch ein paar Bilder folgen, freut Euch drauf!