Das, was hier so nach dem Lied von Andrea Berg klingt (nicht meine Musik übrigens), ist in Wirklichkeit auf die neue Corona-Welle bezogen.
Eigentlich wollte ich ja unsere Sommerreise nach “Frongreisch” (Frankreich) beschreiben, aber die kommt demnächst. Jetzt brennt mir etwas anderes auf der Seele.
Es geht wirkich schon wieder los! Nicht nur die Zahlen gehen in die Höhe, sondern auch die Menschen drehen schon wieder vermehrt am Rad. Der Egoismus entfaltet sich.
Neuestes Beispiel: die Grippeimpfungen. Nachdem wir sie jahrelang wie sauer Bier angepriesen und die Menschen bekniet haben, sich impfen zu lassen, rennen sie uns jetzt die Bude ein. Los ging es zunächst langsam 2017/2018 , als die schwere Grippewelle mit ca. 20.000 Toten über das Land gefegt war.
Und jetzt wurde weltmeisterlich für die Impfungen geworben – aber nicht weltmeisterlich produziert. Es gibt wieder zu wenige Impfungen, obwohl unser Gesundheitsminister sich selber medienwirksam impfen ließ. Generell eine gute Idee, vor allem wenn man neben Corona nicht auch noch eine Infektion mit dem Influenza-Virus bekommen möchte, vor allem, wenn man Vorerkrankungen hat (Bluthochdruck, Diabetes, Krebserkrankungen usw.).
Also belagern die Menschen die Praxis (bestimmt nicht nur unsere) und wollen geimpft werden. Da es nicht genügend Impfdosen gibt, können erst einmal nur diejenigen geimpft werden, die es wirklich nötig haben: schwerkranke Menschen. Das scheinen aber Viele nicht zu verstehen und fordern lautstark Erklärungen, warum sie jetzt nicht zu den “glücklichen Empfängern” gehören. Der Umgangston wird rauher.
Business
Einige sagen beleidigt “Dann bezahle ich es eben privat! Geben Sie mir ein Privatrezept!” Nein, auch das ist falsch! Es geht nicht um die Kröten, sondern, dass Diejenigen die Impfung bekommen, die am gefährdesten sind!
Die nächste Stufe: Der Patient rennt zum Apotheker, der noch Einzelimpfungen vorrätig hat (manchmal). Diese sind aber viel teurer als die Großpackungen und der Apotheker kann daran mitverdienen. Für die lohnt es sich wohl schon, wenn sie die auf Privatrezept verkaufen. Also ruft der Apotheker an und sagt “Ich brauch ein Privatrezept für Hernn/Frau Müller“… Wie unverschämt ist das? Auch das machen wir natürlich nicht mit!
Ein älterer Patient, der noch eine Impfdosis abbekommen hatte, kam in die Praxis, um sich die Spritze geben zu lassen. Er machte den Arm frei und die Arzthelferin gab ihm die Spritze. Anschliessend monierte er “Na, haben sie mir die jetzt auch wirklich gegeben, oder haben sie mir Kochsalz gespritzt?” Was ist mit den Menschen los???
“Haben die nen Nagel im Kopp?”
So drückt eine Arzthelferin ihr Erstaunen aus, und mal ehrlich: Recht hat sie!
Pro Tag machen wir zwischen 15 und 20 Corona-Tests. Immer schön im Kosmonauten-Anzug. Am Dienstag stellte sich mit Halsschmerzen und Husten vor, weigerte sich aber, den Corona-Test zu machen. Das sei alles nur, um uns zu kontrollieren und sie glaube daran nicht und überhaupt….
Der Wahnsinn zieht aber viel weitere Kreise, die ich so gar nicht widergeben könnte. Daher zitiere ich hier einen Brief einer anonymen Arzthelferin, die den aktuellen Alltag porträtiert:
“Sehr geehrte Damen und Herren,ich wende mich verzweifelt an Sie weil wir, Medizinische Fachangestellten, am Ende unserer Kräfte sind. Wir sind uns natürlich darüber im klaren, daß wir aufgrund der Corona Pandemie unseren Praxisablauf umstrukturieren und neu organisieren müssen, dennoch ist der Praxisalltag für die meisten MFA’s einfach nicht zu schaffen, es gibt etliche Kolleginnen, die kurz vor einem Burn-Out stehen und/oder sich beruflich umorientieren, weil der Beruf nichts mehr mit dem zu tun hat, welchen man erlernt hat.Dass Corona sich auf den Gemütszustand mancher Menschen auswirkt, ist bekannt, aber dass so viele MFA’s den Unmut täglich abbekommen, darüber spricht niemand.Es wird fast täglich in den Medien darüber berichtet, dass es nicht genug Pflegepersonal in den Krankenhäusern gibt, dass die Gesundheitsämter überfordert sind mit der Kontaktnachverfolgung, dass Ordnungsämter mit den Kontrollen neuer Regelungen nicht nachkommen uswWas ist mit den Arztpraxen? Man könnte meinen, sie existieren überhaupt nicht! Das war im März/April auch schon der Fall und das, obwohl WIR die ERSTE Anlaufstelle für Patienten sind!WIR sind tagtäglich (und das vom 1. Tag an) immer direkt an “der Front” und es ist mehr als ein Schlag ins Gesicht für uns, dass man uns einfach vergisst.Es gibt aktuell mehrere Problematiken, mit denen wir zur Zeit zu kämpfen haben:
1. Grippe- Impfungen:Wir haben unseren Bestand fast aufgebraucht. Wir hatten extra mehr Impfdosen vorbestellt als die Jahre zuvor. Haben eine Teillieferung erhalten und der Rest steht noch aus. Wann und ob wir die Lieferungen erhalten kann uns niemand klar beantworten, aber in den Medien wird groß verbreitet es seien genügend Impfdosen vorhanden. Erklären Sie jetzt mal den Patienten, wo der Fehler liegt, denn schließlich wurde Ende August groß in den Medien berichtet, dass dieses Jahr genügend Impfdosen zur Verfügung stehen und es zu keinem Engpass kommen wird. Es stand in den Zeitungen, dass es genug gibt, und natürlich stimmt immer das, was in den Medien verbreitet wird.Das gleiche gilt für Pneumokokken- Impfungen. Das Gesundheitsministerium ruft groß dazu auf, sich auch gegen Lungenentzündung impfen zu lassen, aber der Impfstoff ist seit WOCHEN NICHT LIEFERBAR!!Dass dieses allein tagtägliche Diskussionen nach sich zieht, können Sie sich bestimmt vorstellen, aber das ist noch nicht alles.
2. Abrechnung der Abstriche (vorgegeben durch die Kassenärztliche Vereinigung)Es ist eine absolute Katastrophe!!Es wird unterschieden: Abstriche für Patienten mit Erkältungssymptomen ohne persönlichen Kontakt zu nachgewiesen COVID-19 Fall; Abstriche für Patienten mit Kontakt zu COVID-19 Fall, Asymptomatisch; Abstriche für Patienten mit Symptomen und Kontakt zu COVID-19 Fall; Abstriche für Reiserückkehrer aus dem Ausland aus einem Risikogebiet; Abstriche für Patienten mit einer Warnung durch die Corona warn App; Abstriche für Lehrer/KITA Beschäftigte; Abstriche für Personal aus Krankenhäusern/Arztpraxen/PflegeheimenAll diese Anspruchsberechtigten haben ein UNTERSCHIEDLICHES Abrechnungsverfahren (anderer Laborschein, andere Abrechnungsziffern, andere Diagnosen- Kodierung usw) welche sich, und es ist absolut nicht mehr tragbar, seit Juli regelmäßig ÄNDERN!!! Alle paar Wochen bekommen wir ein Fax von der KV, mit NEUEN Abrechnungsleitlinien, die ab SOFORT gelten. Es bleibt in diesem hektischen Praxisalltag und in der Akutversorgung nicht genügend Zeit, sich mit diesen Administrativen sich ausreichend in Ruhe zu beschäftigen, geschweige denn direkt so umzusetzen. Das hat zur Folge, daß nachgearbeitet werden muss, um die Patienten die zu den diversen Abstrichen da waren richtig abzurechnen, also Überstunden. Was das für eine nervenaufreibende Arbeit ist, kann ich gar nicht in Worte fassen.Die Durchführung der Abstriche in Abstrichzentren, wie es zu Beginn der Pandemie organisiert war, wäre eine Erleichterung, aber da die KV der Meinung ist, die niedergelassenen Ärzte schaffen das schon, bekommen viele Testzentren keine Genehmigung.
3. Jeden Tag gibt es bei uns vor der Praxis Auseinandersetzungen zwischen den Patienten, welche wir MFA’s schlichten müssen. Da wir räumlich eingeschränkt sind, was die Anzahl der Patienten betrifft, die sich in der Praxis aufhalten dürfen, müssen die Patienten leider teilweise draußen warten, um sich anzumelden, bis sie zur Behandlung dran sind usw. Das sorgt ebenfalls für Unmut bei den Patienten, denn es ist ja jetzt schließlich kalt und manchmal regnet es auch. Können Sie sich vorstellen, wer diesen Unmut jeden Tag zu spüren bekommt? WIR MFA’s!!Wir haben eine Infektsprechstunde eingerichtet, für Patienten welche Erkältungssymptome haben. Diese sollen sich vorher telefonisch in unserer Praxis melden, um einen Termin dafür zu vereinbaren. Wenn der Termin eingetragen wurde, muss direkt alles für den Abstrich vorbereitet werden. Das kostet Zeit. Zeit, die man in der Anmeldung nicht hat. Somit müssen die Patienten warten, die gerade da sind, um sich anzumelden und auch das Telefon kann in der Zeit nicht bedient werden. Dies hat zur Folge, dass die Telefonanlage permanent durchgehend besetzt ist. Patienten beschweren sich am laufenden Band, dass sie uns nicht erreichen können. Sie kommen sogar teilweise mit ihren Erkältungsbeschwerden in unsere Praxis, obwohl sie wissen, daß es nicht erlaubt ist, und sie sich telefonisch anmelden müssen, aber telefonisch kommen sie nicht durch, weil keine Kollegin immer Zeit hat um direkt die eingehenden Telefonate entgegen zu nehmen. Es ist ein nicht enden wollender Kreislauf.
Es ist nicht auszuhalten, denn es gibt keine Sicht auf Besserung der Situation, der Winter kommt erst noch und es kann einfach so nicht weiter gehen. Ganz davon abgesehen, daß wir am Telefon von den Patienten teilweise beschimpft und/oder beleidigt werden, sind wir jeden Tag einem großen Infektionsrisiko ausgesetzt, da nicht genügend Schutzkleidung zur Verfügung steht (auch da werden Seitens der Regierung öffentlich andere Aussagen getätigt).Nach der neuen Testverordnung dürfen wir MFA’s uns auch 1x wöchentlich präventiv auf das Corona Virus testen lassen. Ganz aktuell haben wir dazu heute am 22.10.2020 ein Schreiben von unserem Labor erhalten, dass die KV lediglich für uns MFA’s die Kosten für Anti-Gen Tests übernimmt, jedoch nicht die Kosten für die üblichen PCR Testungen, welche die KV für ALLE ANDEREN ANSPRUCHSBERECHTIGTEN ÜBERNIMMT!! Bedeutet im Endeffekt: alle dürfen einen üblichen Rachen-Nasen Abstrich bekommen und die Kosten dafür trägt die KV, nur für uns MFA’s nicht!! Es ist unfassbar! Sind wir weniger wert als Pflegekräfte und Krankenschwestern, oder Reiserückkehrende?
Ach ja, nebenbei läuft der reguläre Praxisalltag ja auch noch. Dass Deutschland, im Vergleich zu jeglichen anderen EU Ländern momentan noch nicht so einen eskalierenden Verlauf hat, ist zum Großteil den Hausarztpraxen zu verdanken, denn WIR sind die erste Anlaufstelle. Dies äußerte auch der Vorstand der KBV, Dr. Gassen. Die mangelnde Wertschätzung unserer täglichen Arbeit ist sehr enttäuschend. Es gibt noch viele diverse weitere Punkte, aber mein Anliegen ist es gerade, es irgendwie zu schaffen, dass auch die Öffentlichkeit erfährt, wie es wirklich in den Arztpraxen zugeht und es nur eine Frage der Zeit ist, bis eine nach der anderen zusammen bricht und nicht mehr kann.Wir wissen uns einfach nicht mehr anders zu helfen und hoffen auf einen kleinen Erfolg für uns.Mit freundlichen Grüßen,Eine MFA”
Ich kann mich dem Brief vollkommen anschliessend. Wir haben zwar momentan (!) genügend Schutzausrüsung (wie lange noch?), aber Streit schlichten zwischen Patienten, die im Hausflur rumlungern (obwohl nur 2 Patienten dort gleichzeitig sein dürfen) und den Hausbewohnern, müssen die Arzthelferinnen (MFA) ständig. Wir haben uns inzwischen “Notklingeln” für die Sprechzimmer besorgt, um bei Bedrohung auf uns aufmerksam zu machen…
Wir werden in den nächsten Monaten wahrscheinlich zunehmend weniger Medizin machen und dafür hauptsächlich Seuchenbekämpfung und Katastrophenbewältigung – und Papierkrieg. Die Gesundheitsämter kommen nicht mehr hinterher und die Hausarztpraxen werden überschwemmt. Das bindet Kräfte (s.Brief). Ich habe Sorge, meine Patienten mit anderen wichtigen Erkrankungen nicht mehr richtig versorgen zu können…
Aktuelle COVID-19 Zahlen des Robert-Koch-Instituts (tägl. aktualisiert): RKI-Dashboard
Quelle anonymer Brief der MFA: Hausarztpraxis Dr. med. Bahar u. Björn Hollensteiner