Neues Jahr, neue Unterhose – Endlich!

31.12.2022 – In Zeiten der explodierenden Energiekosten ist das Sparen die richtige Strategie. Nachdem uns gesagt wurde, dass wir nicht mehr so viel duschen sollen, könnte man schlußfolgern, dass man auch weniger waschen sollte. Heizungen sollen weniger heizen und wahrscheinlich werden unsere Kinder demnächst das Seepferdchen beim Eisbaden machen. Ach was heißt Eisbaden: bei den Temperaturen wird wahrscheinlich das Seepferdchen heimisch in unseren Gewässern…

Aber mal Spass beiseite. Was war das wieder für ein Jahr? In wenigen Stunden ist es vorbei und viele Menschen sagen sich sicherlich „endlich!“, in der Hoffnung, dass das neue Jahr besser wird. Auch uns geht es ein Stück weit so. Sehr viel Unruhe und Sorgen liegen hinter uns und einige werden sicherlich ins nächste Jahr folgen.  Sorgen, die viele andere Menschen in Deutschland und anderswo mit uns teilen: der Krieg in der Ukraine, die Kriegsgefahr im Kosovo, die Energiekrise, die Inflation, die Klimakrise, die Ausläufer der Corona-Pandemie… ach ja und die anderen Krisen der Welt, die es gar nicht erst in die Nachrichten oder Gazetten geschafft haben, weil sie “eh weit weg” sind.

Könnte auch ein Statement zum Jahr 2022 sein: Werbeplakat der Berliner Stadtreinigung (BSR)

Ich gehe in eine Filiale einer großen Drogeriekette, mir fehlen noch ein paar Kleinigkeiten. Die Menschen sind aufgekratzt, aber nicht negativ gestimmt. Silvesterraketen und Böller gibt es hier zwar nicht, aber allerlei anderer Kram, mit dem man so einen Abend ausschmücken kann. Die Leute kaufen wie verrückt, als ob es keinen Morgen gäbe. Ich stehe an der Kasse, hinter mir legt eine junge Frau drei XXL-Kondompackungen auf das Fließband. Jeder knallt eben auf seine Art und Weise, denke ich …

“Nüchtern nicht zu ertragen!”

Wir werden gar nichts dergleichen machen. Wir brauchen Ruhe, wir agieren mehr oder weniger nur auf Sparflamme (wir sparen quasie auch mental Energie). Nachdem  Nico erst vollmundig verkündet hatte, bis Mitternacht durchzuhalten, dreht er sich um halb zehn abends auf dem Sofa rum und beginnt zu schnarchen. Nur mit etwas Mühe bekommen wir ihn kurz vor Mitternacht wach, um uns anschliessend einen Vortrag anzuhören, in dem er erklärt, warum das ganze Geböllere und die Raketen blöd sind: es ist zu laut („die armen Vögel“), die Umwelt wird belastet, Müll liegt rum usw. Recht hat er. Hatte ich mit sechs Jahren auch solche Gedanken? Wahrscheinlich eher nicht. Ob er das Ganze nächstes Jahr genauso sieht?

Im Fernsehen verfolgen wir den Countdown. Irgendwann merke ich, dass es eine aufgezeichnete Sendung ist. Billiger geht’s nicht. Oder? Doch, es geht noch billiger: auf einem anderen großen öffentlichen Sender ist die Live-Show vor dem Brandenburger Tor zu sehen: mit Johannes B. Kerner und „Kiwi“ – wie immer. Die Sprüche abgedroschen, das Musikprogramm schmalbrüstig – finde ich jedenfalls. Und das Beste: im Anschluß werden die Highlights aus der Silvesternacht 2021 gezeigt! Bitte was? Also noch billiger geht’s nun wirklich nicht! Eine Berliner Zeitung titelt später: „Nüchtern nicht zu ertragen!“ Recht hat sie.

Wir unterwerfen Britannien!

Wir sitzen in einem Schnellrestaurant im Taunus. Nico hockt in der „Russenhocke“ auf seinem Stuhl und hat mit der Faust auf den Tisch gehauen. Er grinst breit über das Gesicht und freut sich über unsere Verdutztheit – und die der anderen Gäste. „Wir unterwerfen Britannien!“ hat er dabei gerufen, um ebenso entzückt mit einem „Römer! Man bringe mir eine Servicia!“ und “Diener!” hinterher zu schieben. Oh Mann, und ich dachte Asterix und Obelix sind harmlose Comics…. (Servicia ist irgendso ein römisches Gesöff)

“Wir unterwerfen Britannien!” – Darstellung eine Kriegers aus Playmobil

Diese Szene trug sich im Sommer zu, allerdings nicht im Urlaub. Bis Juli hatte ich in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet (super-interessant!!!). Eine spannende Zeit. Aus verschiedenen Gründen hatte ich mich entschlossen, eine Weiterbildung in der Arbeitsmedizin zu beginnen (Arbeitszeiten als ein Argument von vielen). Zuvor wollte ich aber noch etwas „Knete“ verdienen. Daher hatte ich mich bei verschiendenen Online-Plattformen angemeldet, die Ärzte an Krankenhäusern vermitteln. Ein sehr lukratives Geschäft für Ärzte und Vermittler, das die Kliniken und Praxen teuer bezahlen müssen. Horrende Summen werden pro Stunde geboten. Es ist die Konsequenz der falschen Gesundheitspolitik und der Interaktion zwischen Politik, Krankenkassen, Ärztevertreter und Kliniken, die in der allseits bekannten Personalknappheit münden. Am falschen Ende gespart heißt wie immer draufzahlen. Warum soll ich davon nicht auch mal profitieren?

Klar, mit Familie kann man das nur einen begrenzten Zeitraum machen, da man eigentlich  nur am Wochenende zu Hause ist. Wir aber waren bereit, dieses Opfer versuchsweise zu erbringen.

Mein erster Einsatz führt mich nach Mittelhessen, nicht weit weg von Wetzlar. Dank gesperrter Autobahnbrücke und Baustellen verlängert sich meine Anreise und die an den Wochenende zu erduldende Pendelei, aber man erbringt ja gerne Opfer. Ich habe ja schon für weniger Geld die Schenkel gespreiztnur mental, versteht sich!

Ich hätte auch gerne die Bahn genommen und vor mich hingedöst oder gelesen, anstatt jetzt hier die kurvenreichen Strassen im Taunus zu erkunden, aber die Anbindung war einfach zu schlecht bzw. nicht vorhanden. Dafür lassen sich immer wieder schöne Ecken entdecken, bei dem Wetter ganz entzückend. Zwei Monate bin ich in der großen Praxis angestellt und lerne die Mentalität der Menschen in „Hesse“ kennen. 

An scheinbar jeder Ecke scheint es eine Burg zu geben, wie hier in Runkel

Insgesamt hat es mir hier sehr viel Spaß gemacht, wenn auch das Management wieder einmal enttäuschend ist: zunächst werden mir Verträge zu anderen Konditionen unter die Nase gehalten, die mir deutlich weniger Geld zugestanden hätten. Ich bleibe jedoch hart und unterbreite mein „Gegenangebot“: entweder ich bekomme das Geld zu den Konditionen, die ursprünglich verabredet waren, oder ich trete am gleichen Nachmittag noch die Heimreise an. Schliesslich geht alles sehr schnell und ich bekomme das, was mir zusteht. Geht doch…

Malerisch: die Lahn bei Wetzlar

Ich bin in wechselnden Ferienwohnungen untergebracht, die allesamt sehr gut sind. Die Familie besucht mich am Wochenende, oder ich fahre nach Hause. Wenn die beiden bei mir sind, erkunden wir die Gegend. So fahren wir mal nach Frankfurt, ein anderes Mal erkunden wir ein altes Bergwerk: Nahe Wetzlar befindet sich die sehenswerte Grube Fortuna, in der einst vor allem Eisenerz abgebaut wurde. Nach einer Fahrt mit dem “Fahrstuhl” geht es 150 m tief unter die Erde.

Hier wartet eine kleine Grubenbahn, auf die man sich wie auf einen Sattel setzt und sich wie an einem Lenker festhält. Der Kopf ist mit einem Helm geschützt, aber trotzdem muss man den Kopf einziehen, will man sich keine Beule holen.

Grube Fortuna bei Wetzlar

Die wilde Fahrt geht fast 500 m durch die Dunkelheit, dann ist man da. Ein junger Mann, der sich neben dem Studium etwas hinzuverdient führt sachkundig durch die naßkalten Gänge. In den Nieschen liegen dekorativ noch Spaten, Hämmer, Presslufthämmer, manche Leiter führt einen dunklen Schacht hinauf. Man kann sich leicht vorstelllen, wie schwer die Arbeit damals gewesen sein muss und auch später noch, bis die Grube 1983 vollends geschlossen wurde. Ich will gar nicht an die berufsbedingten Erkrankungen denken, die durch die Arbeitsbedingungen verursacht wurden…

Es kommt der letzte Tag, ein Abend in einem Restaurant folgt und ich trete den Heimweg an. Im Gepäck habe ich neue Kontakte, Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind und viele schöne Momente.

Weitere EIndrücke aus Hessen:

Akademische „Wanderhure“

Nach zehn Tagen Pause ruft das Meer: es geht nach Borkum in eine Rehaklinik. Das klingt spannend. In den letzten Jahren war Bahrain die einzige Insel, die ich besucht habe. Jetzt wird es Zeit für zwei Monate an der Nordsee. Mit dem Hochsee-Reizklima erhoffe ich mir etwas Erleichterung für meine Bronchien und mein Asthma. Immerhin wirbt die Insel mit den Kur- und Rehaeinrichtungen für leidgeplagte Patienten, vor allem Atemwegs- und Hauterkrankungen.

Überfahrt nach Borkum

Wieder versuche ich die Anreise mit dem Zug. Am Morgen der Abreise zeigt mir die Bahn-App jedoch den Ausfall des Zuges an. Der nächste geht erst viel später und ich muss ja immerhin an den Anschluß mit der Fähre denken. Also machen Olga und Nico einen “Ausflug” und fahren mich nach Emden. Nach einem kleinen Spaziergang durch die Stadt geht es bei sonnigem Wetter zum Hafen. Bei der Ausfahrt aus dem langgestreckten Hafen passieren wir ein Abfertigungsareal, auf dem olivgrüne Fahrzeuge stehen. Die Fähre passiert in ausreichender Nähe, sodaß man mit Leichtigkeit sehen kann, dass dort vor allem Schützenpanzer aufgereiht sind, fertig zur Verladung. Wohin die wohl gehen? In die Ukraine?

Schweres Gerät

Ich merke mir den Namen des Schiffes und schaue auf einer Internetseite nach, auf der es ähnlich wie bei Flügen die Möglichkeit gibt, Informationen über die Schiffe zu erhalten. Hier läßt sich sehen, dass der Frachter Kurs auf Südamerika nehmen wird.

Der Wind, der mir schon am Hafen um die Nase wehte wird für die nächsten Wochen mein Begleiter sein. Jeden Schritt, den ich ausserhalb des Gebäudes tun werde, wird er mich verfolgen bzw. entgegenwehen.

Noch bevor wir die Insel erreichen, kann man schon aus weiter Entfernung einen Kasten sehen, der am Horizont wie ein Fremdkörper trohnt. Sind das die Aussenbezirke von Berlin mit Plattenbauten? Der scherzhafte Gedanke entpuppt sich als echter Plattenbau: ein Hotel, das den Charme von Berlin-Marzahn oder Gropiusstadt in Berlin-Neukölln hat. Grau und häßlich empfängt er den Besucher schon von Weitem. Auch für Menschen ohne jegliches Gefühl für Ästhetik würden bei dem Anblick erschrecken.

Blick auf das weite Meer

Im Hafen, direkt neben der Anlegestelle steht die Inselbahn. Die Diesel-Schmalspurbahn bringt mich und die anderen Gäste in das Orts- und Inselzentrum. Es erinnert mich an eine Modelleisenbahn-Szenerie, die hier groß geworden ist. Alles sieht etwas niedlich und künstlich aus, hat aber auch seinen Charme.

Erst mal Mattjes in einer Strandbude

Die Klinik ist eine von vielen. Besser gesagt: eine von sehr vielen, die hier direkt an der Uferpromenade stehen. 100m weiter ist der Strand, das Meer ist gerade wegen der Ebbe gerade weiter weg. Nach überstandenem Corona-Schnelltest bekomme ich eine Schlüssel für ein Zimmer in der Klinik. Leider ist es nur leidlich sauber, aber schon nach wenigen Tagen kann ich in ein Haus nebenan einziehen. Die anfängliche Freude über eine eigene Ferienwohnung weicht schnell dem Schrecken: Auf dem Fußboden im Teppich finde ich eine Schraube, der Wasserkocher in der Küche fällt mir auseinander, im Bad finde ich die benutzten Handtücher der Vorbewohnerin samt Resten von Make-up, eine Kontaktlinse lächelt mich im Waschbecken an, in Wohn- und Schlafzimmer dicke Staubschichten auf den Schränken, nebst einem zerbrochenen Spiegel… wunderbar! Das hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen….

Abendspaziergang

Die Kollegen kennen das schon und ertragen es mehr oder weniger. Auch in der Klinik ist es schmutzig, Patienten klagen über nicht gereinigte Zimmer und Schimmelbefall. Also genau das Gegenteil dessen, was ein an Atemwegserkrankungen und Hauterkrankungen leidender Patient so alles braucht. Das Management interessiert sich nicht dafür, eine Email meinerseits wird nur schnippisch kommentiert, aber mir soll das egal sein. Ich kann ja wieder verschwinden.

Atemberaubende Landschaften

Vom positiven Effekt des so angepriesenen Klimas habe ich in den ersten Wochen keine Freude: ich habe erst einmal mit einer Verschlechterung meines Asthmas zu kämpfen und inhaliere und mediziniere mich selber. Nach drei Wochen bessert sich die Symptomatik und ich kann endlich erleichtert an die Arbeit gehen.

Viele Patienten berichten über eine vorübergehende Verschlechterung der Symptome und tatsächlich bedeutet der Aufenthalt in diesem Reizklima nicht „Urlaub von den Symptomen“, sondern zielt u.a. auf eine Aktivierung und Harmonisierung des Immunsystems ab, von der die Patienten auch nach dem Aufenthalt für mehrere Monate profitieren.

Fast so schön wie in der Wüste… 😉

Auch hier lerne ich wieder den ein oder anderen interessanten Menschen kennen, aber insgesamt gestaltet sich der Aufenthalt eher schwierig. Der Mitarbeitermangel ist so eklatant, dass Überstunden geschoben werden müssen.

Weitere Bilder von Borkum:

Geordneter Rückzug

Auch zu Hause spitzt sich die Situation zu: nachdem Nico eingeschult wurde verliefen die ersten Wochen eigentlich ganz normal. Nach und nach zeigte jedoch ein Mitschüler aggressive Verhaltensauffälligkeiten. Das Ganze gipfelte dann darin, dass der Junge u.a. Nico nicht nur trat, sondern auch würgte, sodaß Nico Sternchen sah. Bewußtlos war er zwar nicht, aber in der ersten Klasse (!) wiegen diese Verhaltensweise besonders schwer.

Nico hatte Angst vor dem Jungen, andere Kinder weinten den ganzen Abend und wollten gar nicht mehr in die Schule gehen und nachts wieder einnässten.

Ich entschied mich daher, meine Tätigkeit auf der Insel vorzeitig zu beenden und nach Hause zurückzukehren. Geld ist eben nicht alles. Eine gute Entscheidung. So konnte ich mich um Nico kümmern und die Gespräche mit der Direktorin und den anderen Eltern mittragen. Inzwischen ist der auffällige Junge in einer anderen Klasse, Jugendamt und andere assistierende Stellen sind ebenfalls involviert. Ich kann nur hoffen, dass dem Jungen die nötige Unterstützung zukommt, die er braucht…

Man wird nicht älter, nur „weniger jung“

In der Zwischenzeit hatte ich mich natürlich auch um einen neuen Job gekümmert, sodaß ich Mitte November eine Stelle in der Arbeitsmedizin antreten konnte (dem Ärztemangel sei Dank!).

Fünf (5!) Arbeitgeber habe ich dieses Jahr „ganz klassisch befriedigen“ dürfen, auch wenn das mehr oder weniger geplant war. Inzwischen (Januar 2023) bin ich fast 2 Monate dabei und ich habe erst einmal nicht die Absicht, wieder die Stelle zu wechseln. Es ist Zeit, sich in etwas ruhigeres Fahrwasser zu begeben mit geregelten Arbeitszeiten und die Möglichkeit, Nico bei den Hausaufgaben zu unterstützen, zusammen Zeit zu verbringen, oder auch vielleicht so etwas wie Hobbys zu haben…?

In ein paar Jahren würde ich dann aber doch gerne wieder einen Tapetenwechsel haben wollen… vielleicht. Immerhin werde ich ja „weniger jung“ , wie ich immer sage…

Auch ein Statement für das vergangene Jahr?