Neues Jahr, neue Unterhose – Endlich!

31.12.2022 – In Zeiten der explodierenden Energiekosten ist das Sparen die richtige Strategie. Nachdem uns gesagt wurde, dass wir nicht mehr so viel duschen sollen, könnte man schlußfolgern, dass man auch weniger waschen sollte. Heizungen sollen weniger heizen und wahrscheinlich werden unsere Kinder demnächst das Seepferdchen beim Eisbaden machen. Ach was heißt Eisbaden: bei den Temperaturen wird wahrscheinlich das Seepferdchen heimisch in unseren Gewässern…

Aber mal Spass beiseite. Was war das wieder für ein Jahr? In wenigen Stunden ist es vorbei und viele Menschen sagen sich sicherlich „endlich!“, in der Hoffnung, dass das neue Jahr besser wird. Auch uns geht es ein Stück weit so. Sehr viel Unruhe und Sorgen liegen hinter uns und einige werden sicherlich ins nächste Jahr folgen.  Sorgen, die viele andere Menschen in Deutschland und anderswo mit uns teilen: der Krieg in der Ukraine, die Kriegsgefahr im Kosovo, die Energiekrise, die Inflation, die Klimakrise, die Ausläufer der Corona-Pandemie… ach ja und die anderen Krisen der Welt, die es gar nicht erst in die Nachrichten oder Gazetten geschafft haben, weil sie “eh weit weg” sind.

Könnte auch ein Statement zum Jahr 2022 sein: Werbeplakat der Berliner Stadtreinigung (BSR)

Ich gehe in eine Filiale einer großen Drogeriekette, mir fehlen noch ein paar Kleinigkeiten. Die Menschen sind aufgekratzt, aber nicht negativ gestimmt. Silvesterraketen und Böller gibt es hier zwar nicht, aber allerlei anderer Kram, mit dem man so einen Abend ausschmücken kann. Die Leute kaufen wie verrückt, als ob es keinen Morgen gäbe. Ich stehe an der Kasse, hinter mir legt eine junge Frau drei XXL-Kondompackungen auf das Fließband. Jeder knallt eben auf seine Art und Weise, denke ich …

“Nüchtern nicht zu ertragen!”

Wir werden gar nichts dergleichen machen. Wir brauchen Ruhe, wir agieren mehr oder weniger nur auf Sparflamme (wir sparen quasie auch mental Energie). Nachdem  Nico erst vollmundig verkündet hatte, bis Mitternacht durchzuhalten, dreht er sich um halb zehn abends auf dem Sofa rum und beginnt zu schnarchen. Nur mit etwas Mühe bekommen wir ihn kurz vor Mitternacht wach, um uns anschliessend einen Vortrag anzuhören, in dem er erklärt, warum das ganze Geböllere und die Raketen blöd sind: es ist zu laut („die armen Vögel“), die Umwelt wird belastet, Müll liegt rum usw. Recht hat er. Hatte ich mit sechs Jahren auch solche Gedanken? Wahrscheinlich eher nicht. Ob er das Ganze nächstes Jahr genauso sieht?

Im Fernsehen verfolgen wir den Countdown. Irgendwann merke ich, dass es eine aufgezeichnete Sendung ist. Billiger geht’s nicht. Oder? Doch, es geht noch billiger: auf einem anderen großen öffentlichen Sender ist die Live-Show vor dem Brandenburger Tor zu sehen: mit Johannes B. Kerner und „Kiwi“ – wie immer. Die Sprüche abgedroschen, das Musikprogramm schmalbrüstig – finde ich jedenfalls. Und das Beste: im Anschluß werden die Highlights aus der Silvesternacht 2021 gezeigt! Bitte was? Also noch billiger geht’s nun wirklich nicht! Eine Berliner Zeitung titelt später: „Nüchtern nicht zu ertragen!“ Recht hat sie.

Wir unterwerfen Britannien!

Wir sitzen in einem Schnellrestaurant im Taunus. Nico hockt in der „Russenhocke“ auf seinem Stuhl und hat mit der Faust auf den Tisch gehauen. Er grinst breit über das Gesicht und freut sich über unsere Verdutztheit – und die der anderen Gäste. „Wir unterwerfen Britannien!“ hat er dabei gerufen, um ebenso entzückt mit einem „Römer! Man bringe mir eine Servicia!“ und “Diener!” hinterher zu schieben. Oh Mann, und ich dachte Asterix und Obelix sind harmlose Comics…. (Servicia ist irgendso ein römisches Gesöff)

“Wir unterwerfen Britannien!” – Darstellung eine Kriegers aus Playmobil

Diese Szene trug sich im Sommer zu, allerdings nicht im Urlaub. Bis Juli hatte ich in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet (super-interessant!!!). Eine spannende Zeit. Aus verschiedenen Gründen hatte ich mich entschlossen, eine Weiterbildung in der Arbeitsmedizin zu beginnen (Arbeitszeiten als ein Argument von vielen). Zuvor wollte ich aber noch etwas „Knete“ verdienen. Daher hatte ich mich bei verschiendenen Online-Plattformen angemeldet, die Ärzte an Krankenhäusern vermitteln. Ein sehr lukratives Geschäft für Ärzte und Vermittler, das die Kliniken und Praxen teuer bezahlen müssen. Horrende Summen werden pro Stunde geboten. Es ist die Konsequenz der falschen Gesundheitspolitik und der Interaktion zwischen Politik, Krankenkassen, Ärztevertreter und Kliniken, die in der allseits bekannten Personalknappheit münden. Am falschen Ende gespart heißt wie immer draufzahlen. Warum soll ich davon nicht auch mal profitieren?

Klar, mit Familie kann man das nur einen begrenzten Zeitraum machen, da man eigentlich  nur am Wochenende zu Hause ist. Wir aber waren bereit, dieses Opfer versuchsweise zu erbringen.

Mein erster Einsatz führt mich nach Mittelhessen, nicht weit weg von Wetzlar. Dank gesperrter Autobahnbrücke und Baustellen verlängert sich meine Anreise und die an den Wochenende zu erduldende Pendelei, aber man erbringt ja gerne Opfer. Ich habe ja schon für weniger Geld die Schenkel gespreiztnur mental, versteht sich!

Ich hätte auch gerne die Bahn genommen und vor mich hingedöst oder gelesen, anstatt jetzt hier die kurvenreichen Strassen im Taunus zu erkunden, aber die Anbindung war einfach zu schlecht bzw. nicht vorhanden. Dafür lassen sich immer wieder schöne Ecken entdecken, bei dem Wetter ganz entzückend. Zwei Monate bin ich in der großen Praxis angestellt und lerne die Mentalität der Menschen in „Hesse“ kennen. 

An scheinbar jeder Ecke scheint es eine Burg zu geben, wie hier in Runkel

Insgesamt hat es mir hier sehr viel Spaß gemacht, wenn auch das Management wieder einmal enttäuschend ist: zunächst werden mir Verträge zu anderen Konditionen unter die Nase gehalten, die mir deutlich weniger Geld zugestanden hätten. Ich bleibe jedoch hart und unterbreite mein „Gegenangebot“: entweder ich bekomme das Geld zu den Konditionen, die ursprünglich verabredet waren, oder ich trete am gleichen Nachmittag noch die Heimreise an. Schliesslich geht alles sehr schnell und ich bekomme das, was mir zusteht. Geht doch…

Malerisch: die Lahn bei Wetzlar

Ich bin in wechselnden Ferienwohnungen untergebracht, die allesamt sehr gut sind. Die Familie besucht mich am Wochenende, oder ich fahre nach Hause. Wenn die beiden bei mir sind, erkunden wir die Gegend. So fahren wir mal nach Frankfurt, ein anderes Mal erkunden wir ein altes Bergwerk: Nahe Wetzlar befindet sich die sehenswerte Grube Fortuna, in der einst vor allem Eisenerz abgebaut wurde. Nach einer Fahrt mit dem “Fahrstuhl” geht es 150 m tief unter die Erde.

Hier wartet eine kleine Grubenbahn, auf die man sich wie auf einen Sattel setzt und sich wie an einem Lenker festhält. Der Kopf ist mit einem Helm geschützt, aber trotzdem muss man den Kopf einziehen, will man sich keine Beule holen.

Grube Fortuna bei Wetzlar

Die wilde Fahrt geht fast 500 m durch die Dunkelheit, dann ist man da. Ein junger Mann, der sich neben dem Studium etwas hinzuverdient führt sachkundig durch die naßkalten Gänge. In den Nieschen liegen dekorativ noch Spaten, Hämmer, Presslufthämmer, manche Leiter führt einen dunklen Schacht hinauf. Man kann sich leicht vorstelllen, wie schwer die Arbeit damals gewesen sein muss und auch später noch, bis die Grube 1983 vollends geschlossen wurde. Ich will gar nicht an die berufsbedingten Erkrankungen denken, die durch die Arbeitsbedingungen verursacht wurden…

Es kommt der letzte Tag, ein Abend in einem Restaurant folgt und ich trete den Heimweg an. Im Gepäck habe ich neue Kontakte, Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind und viele schöne Momente.

Weitere EIndrücke aus Hessen:

Akademische „Wanderhure“

Nach zehn Tagen Pause ruft das Meer: es geht nach Borkum in eine Rehaklinik. Das klingt spannend. In den letzten Jahren war Bahrain die einzige Insel, die ich besucht habe. Jetzt wird es Zeit für zwei Monate an der Nordsee. Mit dem Hochsee-Reizklima erhoffe ich mir etwas Erleichterung für meine Bronchien und mein Asthma. Immerhin wirbt die Insel mit den Kur- und Rehaeinrichtungen für leidgeplagte Patienten, vor allem Atemwegs- und Hauterkrankungen.

Überfahrt nach Borkum

Wieder versuche ich die Anreise mit dem Zug. Am Morgen der Abreise zeigt mir die Bahn-App jedoch den Ausfall des Zuges an. Der nächste geht erst viel später und ich muss ja immerhin an den Anschluß mit der Fähre denken. Also machen Olga und Nico einen “Ausflug” und fahren mich nach Emden. Nach einem kleinen Spaziergang durch die Stadt geht es bei sonnigem Wetter zum Hafen. Bei der Ausfahrt aus dem langgestreckten Hafen passieren wir ein Abfertigungsareal, auf dem olivgrüne Fahrzeuge stehen. Die Fähre passiert in ausreichender Nähe, sodaß man mit Leichtigkeit sehen kann, dass dort vor allem Schützenpanzer aufgereiht sind, fertig zur Verladung. Wohin die wohl gehen? In die Ukraine?

Schweres Gerät

Ich merke mir den Namen des Schiffes und schaue auf einer Internetseite nach, auf der es ähnlich wie bei Flügen die Möglichkeit gibt, Informationen über die Schiffe zu erhalten. Hier läßt sich sehen, dass der Frachter Kurs auf Südamerika nehmen wird.

Der Wind, der mir schon am Hafen um die Nase wehte wird für die nächsten Wochen mein Begleiter sein. Jeden Schritt, den ich ausserhalb des Gebäudes tun werde, wird er mich verfolgen bzw. entgegenwehen.

Noch bevor wir die Insel erreichen, kann man schon aus weiter Entfernung einen Kasten sehen, der am Horizont wie ein Fremdkörper trohnt. Sind das die Aussenbezirke von Berlin mit Plattenbauten? Der scherzhafte Gedanke entpuppt sich als echter Plattenbau: ein Hotel, das den Charme von Berlin-Marzahn oder Gropiusstadt in Berlin-Neukölln hat. Grau und häßlich empfängt er den Besucher schon von Weitem. Auch für Menschen ohne jegliches Gefühl für Ästhetik würden bei dem Anblick erschrecken.

Blick auf das weite Meer

Im Hafen, direkt neben der Anlegestelle steht die Inselbahn. Die Diesel-Schmalspurbahn bringt mich und die anderen Gäste in das Orts- und Inselzentrum. Es erinnert mich an eine Modelleisenbahn-Szenerie, die hier groß geworden ist. Alles sieht etwas niedlich und künstlich aus, hat aber auch seinen Charme.

Erst mal Mattjes in einer Strandbude

Die Klinik ist eine von vielen. Besser gesagt: eine von sehr vielen, die hier direkt an der Uferpromenade stehen. 100m weiter ist der Strand, das Meer ist gerade wegen der Ebbe gerade weiter weg. Nach überstandenem Corona-Schnelltest bekomme ich eine Schlüssel für ein Zimmer in der Klinik. Leider ist es nur leidlich sauber, aber schon nach wenigen Tagen kann ich in ein Haus nebenan einziehen. Die anfängliche Freude über eine eigene Ferienwohnung weicht schnell dem Schrecken: Auf dem Fußboden im Teppich finde ich eine Schraube, der Wasserkocher in der Küche fällt mir auseinander, im Bad finde ich die benutzten Handtücher der Vorbewohnerin samt Resten von Make-up, eine Kontaktlinse lächelt mich im Waschbecken an, in Wohn- und Schlafzimmer dicke Staubschichten auf den Schränken, nebst einem zerbrochenen Spiegel… wunderbar! Das hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen….

Abendspaziergang

Die Kollegen kennen das schon und ertragen es mehr oder weniger. Auch in der Klinik ist es schmutzig, Patienten klagen über nicht gereinigte Zimmer und Schimmelbefall. Also genau das Gegenteil dessen, was ein an Atemwegserkrankungen und Hauterkrankungen leidender Patient so alles braucht. Das Management interessiert sich nicht dafür, eine Email meinerseits wird nur schnippisch kommentiert, aber mir soll das egal sein. Ich kann ja wieder verschwinden.

Atemberaubende Landschaften

Vom positiven Effekt des so angepriesenen Klimas habe ich in den ersten Wochen keine Freude: ich habe erst einmal mit einer Verschlechterung meines Asthmas zu kämpfen und inhaliere und mediziniere mich selber. Nach drei Wochen bessert sich die Symptomatik und ich kann endlich erleichtert an die Arbeit gehen.

Viele Patienten berichten über eine vorübergehende Verschlechterung der Symptome und tatsächlich bedeutet der Aufenthalt in diesem Reizklima nicht „Urlaub von den Symptomen“, sondern zielt u.a. auf eine Aktivierung und Harmonisierung des Immunsystems ab, von der die Patienten auch nach dem Aufenthalt für mehrere Monate profitieren.

Fast so schön wie in der Wüste… 😉

Auch hier lerne ich wieder den ein oder anderen interessanten Menschen kennen, aber insgesamt gestaltet sich der Aufenthalt eher schwierig. Der Mitarbeitermangel ist so eklatant, dass Überstunden geschoben werden müssen.

Weitere Bilder von Borkum:

Geordneter Rückzug

Auch zu Hause spitzt sich die Situation zu: nachdem Nico eingeschult wurde verliefen die ersten Wochen eigentlich ganz normal. Nach und nach zeigte jedoch ein Mitschüler aggressive Verhaltensauffälligkeiten. Das Ganze gipfelte dann darin, dass der Junge u.a. Nico nicht nur trat, sondern auch würgte, sodaß Nico Sternchen sah. Bewußtlos war er zwar nicht, aber in der ersten Klasse (!) wiegen diese Verhaltensweise besonders schwer.

Nico hatte Angst vor dem Jungen, andere Kinder weinten den ganzen Abend und wollten gar nicht mehr in die Schule gehen und nachts wieder einnässten.

Ich entschied mich daher, meine Tätigkeit auf der Insel vorzeitig zu beenden und nach Hause zurückzukehren. Geld ist eben nicht alles. Eine gute Entscheidung. So konnte ich mich um Nico kümmern und die Gespräche mit der Direktorin und den anderen Eltern mittragen. Inzwischen ist der auffällige Junge in einer anderen Klasse, Jugendamt und andere assistierende Stellen sind ebenfalls involviert. Ich kann nur hoffen, dass dem Jungen die nötige Unterstützung zukommt, die er braucht…

Man wird nicht älter, nur „weniger jung“

In der Zwischenzeit hatte ich mich natürlich auch um einen neuen Job gekümmert, sodaß ich Mitte November eine Stelle in der Arbeitsmedizin antreten konnte (dem Ärztemangel sei Dank!).

Fünf (5!) Arbeitgeber habe ich dieses Jahr „ganz klassisch befriedigen“ dürfen, auch wenn das mehr oder weniger geplant war. Inzwischen (Januar 2023) bin ich fast 2 Monate dabei und ich habe erst einmal nicht die Absicht, wieder die Stelle zu wechseln. Es ist Zeit, sich in etwas ruhigeres Fahrwasser zu begeben mit geregelten Arbeitszeiten und die Möglichkeit, Nico bei den Hausaufgaben zu unterstützen, zusammen Zeit zu verbringen, oder auch vielleicht so etwas wie Hobbys zu haben…?

In ein paar Jahren würde ich dann aber doch gerne wieder einen Tapetenwechsel haben wollen… vielleicht. Immerhin werde ich ja „weniger jung“ , wie ich immer sage…

Auch ein Statement für das vergangene Jahr?

Nur weg hier – Auszeit vom Virus

Urlaub mit Vorsicht, aber nicht weniger schön und aufregend. Gerade jetzt, wo Urlaub Sinnbild für die Illusion des Unbeschwerten ist..

Ihr kennt das bestimmt: der Urlaub ist gerade mal ein paar Tage her und man fühlt sich schon wieder so wie vor dem Urlaub: ausgelutscht, die Tränensäcke schlagen bei jedem Schritt gegen die Knie, das Bett ist wie ein riesiger Magnet…

Nun gut, immerhin habe ich gut 2 Monate durchgehalten, aber der Winter graust mir. Die Menschen sind gereizter, fordernder, egoistischer. Jetzt in der immer noch andauernden und sich sicherlich wieder verschärfenden Krise, zeigen sich die Gräben stärker, die durch die Gesellschaft führen. Aber eigentlich haben wir (bisher) sooo viel Glück gehabt in Deutschland mit Corona. Vielleicht meckern die Leute einfach zu viel, sodaß der Virus (oder das Virus) einfach keine Lust hat hier zu bleiben… Das wäre das erste Mal in der Geschichte , dass Meckern helfen würde. – Sicherlich eine Illusion, der sich Viele hingeben…

Das Frühjahr hat uns geschlaucht, die Arbeit mit den Masken (insbesondere FFP2-Masken) ermüdet die Menschen. Es gibt sogar eine Studie dazu, die in Leipzig durchgeführt wurde (Der Allgemeinarzt, 25.10.2020) Wenigstens hatten wir eine Sommerpause zum Auftanken.

Eigentlich hatten wir wieder in die Wüste gewollt, dann wegen familiärer Gründe nach Russland gemusst, aber Corona und die Einschränkungen haben alle Pläne durchkreuzt. Also entschieden wir uns in Europa zu bleiben. Frankreich sollte es dieses Mal sein: Sommer, Sonne, Strand. Bloss nicht zu kalt, da wir wegen Corona lieber campen wollten.

Ab in die Sonne

Es ist Freitag, 31.07.2020. Etwa 1400 km liegen vor uns. Da wir nicht wissen, ob es vielleicht doch noch Verzögerungen an den Grenzen gibt, fahren wir bereits am Freitag nachmittag nach der Arbeit los. Über die verrückte deutsche Autobahn gehts nach Karlsruhe, wo wir in einem kleinen Hotel übernachten. Personal gibt es keines mehr, als wir gegen 22 Uhr dort ankommen. Im Eingangsbereich ein kleiner Safe, der nach Eingabe einer Nummer ein Schlüsseltableau freigibt. Wir nehmen unseren Schlüssel und lassen uns ins Bett fallen. Nico ist da schon längst im Reich der Träume.

Verschachtelte Autobahnen – typisch in der dicht besiedelten Schweiz

Nach einem kleinen Frühstück geht es weiter nach Süden, an Freiburg vorbei Richtung Schweiz. Die Autos rasen, die Sonne lacht. Nur kurz werden wir an der Schweizer Grenze aufgehalten, dann durchgewunken. Weiter geht es an Bern vorbei nach Genf. Das Passieren der Grenze nach Frankreich merken wir kaum und schon befinden wir uns in den Französischen Alpen. Nach einer ruhigen Fahrt kommen wir in Grenoble an. Die erste französische Großstadt auf unserer Reise. Man merkt, dass man in Frankreich ist: viele Motorroller, verwirrende Strassenzüge, gelockerte Stimmung trotz Corona. Sonne, ein warmer Wind – und noch geschlossenen Restaurants.

Zwischen Genf und Grenoble

Die machen erst später auf, am Abend, um mit saftigen Preisen die Gäste zu empfangen. Mit etwa 160.000 Einwohnern ist die Stadt etwa so groß wie Osnabrück. Durch das Zentrum fließt die Isère, in der näheren Umgebung Ausläufer der französischen Alpen, deren Gipfel hier bis 3000 m in die Höhe ragen. Grenoble hat viele schöne Orte und hat sich auch als Universitätsstadt einen Namen gemacht. Es ist die drittgrößte des Landes und ein bekannter deutscher Student verbrachte hier eine Zeit seines Lebens: Richard von Weizsäcker.

Blick uf die Isère nach Osten

Das kleine Hotel befindet sich eingequetscht zwischen anderen gesichtslosen Häusern in einer kleinen Nebenstrasse im sonst ganz hübschen Stadtzentrum, Das Zimmer ist dunkel und klein. Es riecht nach Desinfektionsmittel. Ein kleiner Möchtegern-Balkon ist mit schweren Türen verschlossen, die sich nur mit etwas Mühe öffnen lassen. Man kann nur einen Fuß auf den Balkon setzen. Unten die Gasse mit den Autos. Gegenüber eine Häuserzeile mit größeren Balkons. Ein Mann mit nacktem Oberkörper raucht genüßlich eine Zigarette, während er in einer Zeitung liest. So stellt man sich “Frongreisch” vor. Auf dem Balkon daneben eine Miezekatze, die die letzten warmen Sonnenstrahlen genießt. Der Blick nach links zeigt den Mont Jalla mit dem Fort, nach rechts verläuft sich die Gasse in den Winkeln des Viertels. Ein Spaziergang zeigt eine Mischung aus schönen alten Häusern und glanzlosen Neubauten. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt stark bombardiert, da sie von der Wehrmacht besetzt war.

Hübsche Strassenzüge in Grenoble

Leider haben wir viel zu wenig Zeit und die Kräfte sind erschöpft, sodass wir schnell schlafen gehen. Am nächsten Morgen verzichten wir auf das Frühstück: im winzig kleinen Frühstücksraum sitzen die anderen Gäste dicht gedrängt nebeneinander. Immerhin können wir uns etwas mitnehmen.

Auf Napoléons Spuren

Wir fahren einen Abschnitt der Route Napoleon nach Süden. Die offiziell Route Nationale 85 (RN 85) genannte Strasse entspricht der Strecke, die Napoleon 1815 abschritt. Von Cannes kommend, passierte er Grenoble, um in Paris wieder die Mach an sich zu reißen. Während er seine Männer innerhalb von 7 Tagen die fast 400 km nach Norden hetzte, tuckern wir gemütlich nach Süden. Und das auf einer entspannten Autobahn. Bereits in der Schweiz haben wir etwas weniger LKW gesehen, hier in Frankreich sehen wir auf 400 km nur ganze 2 Stück!!! Wunderbar!! Es geht doch auch ohne!!!

Im Zentrum von Gap

Dafür müssen z.T. saftige Preise an den Mautstellen bezahlt werden. Wir sind zunächst etwas verwirrt, da man mal mit Karte, mal mit Münzen bezahlen kann oder muss. Wie eine große Hand mit 5-7 Spuren fächert sich die Strasse auf. Auf jeder Spur eine Schranke mit Automat. Dahinter geben erst einmal alle Gas, aber insgesamt fahren auch hier nur die Deutschen zu schnell… Die Besiedelung ist dünn, Großstädte fehlen hier im Südosten. Erst im Großraum Aix-en-Provence und Marseille wird es wieder voller. Sehr voll, besonders Marseille. Hier herrscht dichter Verkehr, die Motorroller und Motorräder schlängeln sich in typisch gefährlicher Manier zwischen den Autos durch, z.T. mit halsbrecherischer Geschwindigkeit. Wenn jetzt einer dieser Mopedfahrer einen Millimeter zu nah an uns wäre, würde es Klatsch machen, ohne dass ich eine Chance hätte zu bremsen. Es geht aber alles gut.

Six-Four-les-Plages

So heißt das Städtchen, in dem unser Campingplatz liegt. Etwa 33.000 Einwohner hat die Gemeinde die direkt m Meer liegt und sich mit der etwas größeren Stadt La-Seyne-sur-Mer eine Landzunge bzw. Halbinsel teilt.

Wir fahren im dichten Verkehr durch die Strassen der Stadt. Ein ständig knarrend-surrendes Geräusch irritiert mich. Ich öffne das Fenster und höre es lauter. Ist das etwa unser Auto? Der Keilriemen? Der wurde doch erst gewechselt. im Spiegel sehe ich einen alten Mercedes Kastenwagen. Der wird es sicher sein. Der Wagen biegt ab, das Geräusch bleibt. Es muss unser Auto sein. Noch auf dem Weg zum Campingplatz grübel ich über das Geräusch nach. Was kann das sein….?

Erst als wir angekommen sind und der Motor aus ist lüftet sich das Geheimnis: zirpende Grillen! Davon gibt es hier so viele, dass ihr Konzert unüberhörbar ist! Ich kann sie zwar nur schwer entdecken, aber ich bin erleichtert, dass nicht das Auto kaputt ist.

Garten statt “Rammelplatz”

Unser Campingplatz heißt “Au jardin de la Ferme”. Er wird von einem etwas älteren Ehepaar auf dem Gelände einer alten Farm betrieben. Obstbäume, kleine Chalets und ein wunderbargemütlicher Abschnitt für Zeilte und Wohnwagen unter Pinien- und anderen Bäumen prägen das Gelände. Alles wirkt sehr familiär und ruhig, nicht wie diese typische großen “Rammelplätze“, wo Wagen an Wagen steht. Wir bauen unser Zelt auf und Nico kippelt vergnügt in seinem kleinen Campingstuhl. Trotz der Müdigkeit machen wir uns auf zum Meer: nur 400 m liegen zwischen uns dem ersehnten Naß.

Au jardin de la Ferme

Die nächsten Tage erkunden wir die Umgebung. Marseille interessiert uns, aber die Stadt ist voll. Ein paar Tage später werden Teile der Stadt als Risikogebiet bereits wieder ausgewiesen. Das stört uns aber kaum, da wir jetzt mehr Natur erleben wollen. Der Strand ist gut besucht, aber wir weichen auf einen Abschnitt mit Kies aus. Hier wollen nicht so viele hin. Der Sonnenschirm wird in den Boden gerammt, Nico mit UV-dichtem Badesachen ausgerüstet und ab gehts ins Meer – oder auch nicht. Das Meer ist kalt….Trotzdem wird geplantscht, Kies aufgeschüttet, mit Wasser gespritzt. Nico ist in seinem Element.

Wer gedacht hätte, wir hätten einen typischen Strandurlaub gemacht, der hat sich geirrt. Gleich am 3 Tag machen wir eine Wanderung. Frankreich verfügt über ausgezeichnete topografische Karten bzw. Wanderkarten. Zusätzlich findet sich im Internet das Kartenmaterial frei zugänglich, interaktiv mit Wanderrouten (www.geoportail.gouv.fr). Für jeden Frankreich-Urlaub unentbehrlch!

Im Bereich Ollioules/Evenos möchten wir wandern gehen. Dazu müssen wir ca. 10-15 km nach Norden fahren. Eigentlich ein Katzensprung. Da das Land hier aber endlos zersiedelt und alle 200 m ein Kreisverkehr ist, brauchen wir fast 1 Stunde! Auch das ist Frankreich. Wir stellen das Auto im Schatten eines Baumes ab. In den kommenden Stunden machen wir einen “Spaziergang” über fast 10 km. Nico läuft davon immerhin 7 alleine! Den Rest tragen wir ihn abwechselnd. Trotz der Hitze und Anstrengung ein unvergesslicher Tag!

Das Fort Gros Cerveau Ollioules

Die Calanques – Fjorde des Mittelmeeres

Früh sind wir aufgebrochen an diesem Tag. Wir fahre Richtung Westen nach Marseille und anschliessend nach Süden zur Küste zum Massif des Calanques. Das felsige wilde Gebirgsmassiv beginnt direkt am Stadtrand von Marseille.

Des Calanques

Die enge Strassse endet an einem Parkplatz, auf dem noch nicht viel los ist. Wir stiefeln los, ausgestattet mit Wasser und Essen. Das Frühstück wird auf halben Wege eingenommen, irgendwann wird der Weg dann aber zu steil. Während wir aufpassen müssen, nicht zu fallen, hampelt Nico lustig vor sich hin. Er will nicht aufhören und schließlich ist es uns zu bunt: wir müssen unsere Streckenplanung anpassen. Das macht aber nichts, angesichts der schönen Aussicht, die wir auf einem Berggipfel genießen können: auf der einen Seite die Stadt Marseille, auf der anderen die steil ins Meer abfallenden Felsen, die wie lange Finger hinauf ins Meer reichen. Wenn es nicht so sonnig und warm wäre, könnte man meinen in Norwegen zu stehen. Ursprünglich handelt es sich um Täler, die vor ein paar Millionen entstanden und dann durch den ansteigenden Meerespiegel geflutet wurden.

Wir wandern weiter, der Weg ist schmal und steil. Wir passieren eine Gruppe junger Leute, die bei Bier und Zigaretten entspannen. Dabei besteht in dieser Region die höchste Waldbrandstufe. 40 km weiter westlich von Marseille stehen riesige Flächen in Brand. Hier gibt es immer wieder riesige verheerende Waldbrände, die oft von massiven Regenfällen gefolgt werden. Angefacht werden die Brände vom Mistral, einem sehr trockenen Wind, der das Rhonetal heruntersaust Richtung Mittelmeer. Woher wir das wissen? Nun ja, einen Brand haben wir zum Glück nicht gesehen, aber sämtliche Folgen einer Serie über die Feuerwehr hier in Südfrankreich mussten wir uns reinziehen – auf Wunsch eines einzelnen Herrn (und der bin nicht ich…). Die Serie lief in der Mediathek des ZDF.

Noch eine Biegung und wie können in der Ferne einen türkisen Fleck ausmachen: Die Buchten der Calanques. Boote dümpeln hier, ein paar Yachten und Leute schwimmen im Wasser. Wunderschön!

Les Calanques

Am Abend fahren wir in der untergehenden Sonne am Meer entlang von Cassis nach La Ciotat. Es ist eine atemberaubende und wunderschöne Strecke. Die Strasse windet sich teilweise auf den Bergrücken, manchmal direkt auf dem Grat entlang, zur einen Seite ist der relativ sanfte Hang mit Bäume gesäumt, zur anderen Seite treffen die Felsen fast senkrecht auf das Wasser. Wohlbemerkt geht es gaaaanz weit runter.

Zwischen Cassis und La Ciotat

Antoines Verschwinden

Der Blick schweift wieder in die Ferne. Dort hinten, über dem offenen Meer irgendwo, verschwand Antoine de Saint-Exupery, der Autor des weltbekannten Textes “Der kleine Prinz” am 31. Juli 1944 mit seinem Aufklärungsflugzeug. Von Korsika kommend war er auf dem Weg nach Grenoble, wo er jedoch nie ankam. Ob seine Maschine abgeschossen wurde, ein technischer Defekt die Ursache war, oder gar ein Suizid des depressiven Autors, ist nicht endgültig geklärt. Lange war unklar, wo das Flugzeug abgeblieben war, bis ein Fischer 1998 das Armband Saint-Exuperys im Netz hatte. Zwei Jahre später schließlich wurden die ersten Teile der Lockheed F-5 gefunden, und 2003 schließlich geborgen.

Grand Canyon in Frankreich?

150 km liegen zwischen unserer “Plansch-Residenz” und einer der tiefsten Schluchten: Die Schlucht von Verdon. Nicht zu verwechseln mit der Schlacht von Verdun! Je nachdem, welche Quelle man heranzieht, gehört dieser Canyon mit ewa 700 m Tiefe zu den Top 5 oder sogar Top 3 der tiefsten Schluchte in Europa. Die Tiefe der Tara-Schlucht in Montenegro wird gar mit 1300 Metern angegeben! Der Verdon-Fluß ist hier 21 km lang und mündet in einen großen Stausee, dem Lac de Sante Croix. Dieses Naturgebiet lockt vor allem im Sommer Unmengen von Besuchern an. Kein Wunder, immerhin kann man in dieser atemberaubenden Landschaft viel unternehmen: Wandern, Klettern an steilen Felswänden, sich mit Flugdrachen hinabstürzen oder sich in den eiskalten Fluten halbrecherisch flußabwärts treiben lassen.

Schlucht von Verdon

An einer wunderbaren Stelle folgen wir den Menschenmassen und steigen hinab zum Ufer des Flusses. Das Wasser ist kalt, mehere Gruppen von abenteuerlustigen, zumeist jungen Leuten, werden von ihren Guides instruiert, um anschliessend mit Helm und Neoprenanzügen die Schlucht rücklings bis zum Stausee zu erkunden.

Uns sind das eideutig zu viele Menschen hier, aber nicht wegen Corona, sondern der Natur und dem Erlebnis wegen. Die Fahrt entlang des Flusses ist abenteuerlich. Die Strasse schlängelt sich zeitweilig schwindelerregend an an den Felsen entlang. Er bieten sich immer wieder atemberaubende Ausblicke.

In der Tiefe des Canyons

“Lui Kartors*” und deutsche Exilanten

*Ludwig der XIV, auf französisch Louis quatorze 😉

Die Tage vergehen wie im Flug. Das Wetter ist super, fast schon manchmal zu heiß, selbst für mich. Dafür ist das Meer fantastisch. Vor der bevorstehenden Rückreise verabschieden wir uns mit einem Besuch auf dem Hausberg von Toulon, der Hauptstadt des Departement Var. Hier oben hat man einen wunderbaren Ausblick auf die 170.000 Einwohnerstadt mit ihrem riesigen Marinehafen. Hier ist der Heimathafen der französischen Mittelmeerflotte. In der Ferne kann man die Umrisse eines Flugzeugträgers und dreier U-Boote erkennen.

Schon vor etwa 500 Jahren gab es hier einen Militärhafen, der unter Ludwig dem XIV ausgebaut wurde. Die Flotte eroberte von hier aus das Mittelmeer (u.a. mit der sogenannten Schwarzmeerflotte) und ließ sich selbst auch dreimal versenken bzw. versenkte sich selber, zuletzt 1942 um sich den deutschen Besatzern zu entziehen .

Toulon mit seinem Militärhafen vom Mont Faron aus gesehen

Während eine Fähre in die Bucht steuert, flackern in der Dämmerung die ersten Lichter der Stadt auf. Unweit vom Hafen erstreckt sich westlich unseres Campingortes die Gemeinde Sanary-sur-mer. Hier, malerisch gelegen und vom besten Wetter gesegnet, befand sich über Jahre die Exilheimat vieler deutschsprachiger Künstler und Dichter, die vor den Nazionalsozialisten flüchteten. Unter ihnen keine Geringeren als Heinrich und Thomas Mann, Arnold Zweig, Bertholt Brecht und Lion Feuchtwanger, um nur wenige zu nennen.

Mahnmal auf dem Mont Faron bei Toulon

Die Deutsche Gemeinde hatte nicht nur vor den eigenen Wehrmachtstruppen und NS-Schergen Repressalien zu erwarten, sondern später auch von den Franzosen selbst: Ihnen wurde nicht getraut und viele zumindest für einige Zeit sogar interniert. Von den Greuel des Zweiten Weltkriegs zeugt heute ein Mahnmal mit Museum und einem amerikanischen Panzer und wenigem anderen Kriesgerät. Doch die Natur samt eines Zoos sprechen uns mehr an. Wir belassen es allerdings bei einem ausgedehnten Spaziergang im unendlich trockenen Wald.

Wundebarer Wald – höchste Waldbrandstufe

Irgendwann ist die Zeit dann aber wirklich rum und wir müssen uns entscheiden, wie wir die restlichen Tage verbringen wollen – und vor allem wo. Vielleicht bei meinem alten Kollegen Steffen (aus Bahrain) vorbeischauen in der Schweiz? Naja, ist etwas kurzfristig. Ausserdem wollen wir eine andere Route fahren, als auf dem Hinweg. Wir entscheiden uns für ein paar Tage im Tessin. Wir reservieren einen Campingplatz im südlichen Teil des Kantons, nicht weit von Lugano entfernt.

Die Bilder der Corona-Krise in Italien ist immer noch in unseren Köpfen, daher beschliessen wir, durch Italien (leider) nur durchzufahren. Zuletzt tanken wir hinter Nizza, die erste und einzige Pipi-Pause machen wir in einem Waldstück abseits der Autobahn nahe Genua. Bloß keinem Menschen begegnen. Weiter geht es durch die Po-Ebene und wir kreuzen den Fluss Ticino, der dem italienischsprachigen schweizer Kanton den Namen gibt: Tessin, italienisch Ticino. Schon haben wir Mailand passiert und mit Como sind wir auch schon in den Alpen wieder angekommen. Ein paar Kilometer weiter sind wir schon in Chiasso, der ersten schweizerischen Stadt.

Unser Campingplatz liegt auf einem Berg nahe der Ortschaft Meride. Die sogenannten “Facilities” sind ausgezeichnet: nicht nur Sanitäranlagen, sondern auch Kühl- und Gefrierschrank, Mikrowelle,… Nur das Zelt oder das Campingmobil muss man selber mitbringen.

Camping Meride, Tessin

Wir stellen das Zelt auf, essen und lassen den Abend ausklingen. Gegen 5 Uhr werden wir unsanft geweckt: Donnerschlag gang in der Nähe. Es blitzt. Wir sind hellwach. Da wir sehr großen Respekt vor Gewitter im Freien haben und dazu noch auf einem Berg sind, wollen wir nicht auf den Blitzeinschlag warten. Schnell gehts rein in die Buchsen und wir stürmen zum Auto nach unten. Kaum angekommen, setzt ein massiver Regen ein, Blitze, Donner. Wir machen es uns im Auto bequem und versuchen noch etwas zu schlafen. Gegen 7 Uhr etwa, ist der Spuk vorbei.

Beene hoch und abwarten

In der zweiten Nacht passiert genau das gleiche. Wiede stürmen wir wie die Kranken nach unten ins Auto. Wohlbemerkt: wir sind die einzigen! Alle anderen schnarchen weiter vor sich hin. Sind wir jetzt die Verrückten? Wir bekommen langsam Zweifel. Eine kurze Recherche im Internet ergibt: Wir machen es richtig! Das Zelt ist kein Schutz, das befindet auch der Verband Deutscher Elektrotechniker.

Ich habe dazugelernt: am Abend des dritten Tages will ich dem Schlafen im Sitzen zuvorkommen und bereite das Auto vor. Ein paar Sachen umgepackt, die Rücklehne umgeklappt, die Vordersitze maximal nach vorne geschoben und fertig! Ich staune über unser Auto: 2 Erwachsene und ein kleines Kind können mit ausgestreckten Beinen im Auto liegen, ohne die Karosserie zu berühren! Das hätte ich nicht gedacht! Jetzt kann das nächste Gewitter kommen! Doch dieses Mal bleibt es aus! Froh bin ich trotzdem, immerhin brauchen wir nicht im Dunkeln durch die Gegend zu latschen.

Lugano

In den folgenden Tagen erkunden wir Lugano und Locarno. Wunderschöne Städte, die immer wieder die unterschiedlichsten Menschen anzogen: Franz Kafka, Richard Strauss, Hardy Krüger, Caterina Valente lebten zumindest zeitweilig in Lugano. Die Schwesterstadt Locarno am Lago Maggiore beheimatete u.a. Karl Bleibtreu, Kleists Bettelweib (von Locarno) und der in Osnabrück geborene Erich Maria Remarque, um nur wenige zu nennen. Durch die Lage an der Südseite der Alpen muten Klima und Vegetation mediterran an, sogar Palmen säumen hier die Strassen. Im Hintergrund die schneebedeckten Walliser und Berner Alpen.

Mit der Zahnradbahn auf den Monte Bré

Über Lugano trohnt der Monte Bré, 900 m etwa über dem Meeresspiegel. Eine Zahnradbahn bringt uns hinauf. Nico freut sich über die aufregende Zugfahrt von etwa 15 min. Unser Portemonaie auch: schlappe 50 Eier kosten 15 min rauf und runter für 2 Erwachsene! Aber was solls, das Gewitter verzieht sich gerade und mit den wärmenden Sonnenstrahlen geben die Wolken den Blick frei auf den Luganer See. Ein Wahnsinns-Ausblick!

Ausblick auf den Luganer See

Weder Römer noch Lilliputaner

Nördlich von Locarno liegt das Verzasca-Tal, durch das der gleichnamige Fluß fliesst. Das Flussbett ist eng und die Strömung mitunter schnell. Aber es gibt eine bekannte Brücke, die Ponte dei Salti. Zwar wird sie fälschlicherweise als Römerbrücke bezeichnet, aber sie wurde erst im 17. Jahrhundert als Steinbrücke erbaut. Sicherlich gibt es höhere und spektakulärere Brücken. Genau genommen ist sie sehr klein, aber unter ihr hat der Fluß eine Schneise in die Felsen geschliffen. Sie ist nur so breit, dass zwei Leute nebeneinander laufen können. Zudem ist die seitliche Begrenzung noch nicht einmal hüfthoch. Weder Lilliputaner noch schwäbische Sparsamkeit waren ein Grund dafür, sondern Esel: die Arbeitstiere waren zu beiden Seiten mit Säcken bepackt und waren damit deutlich breiter als das Tier selber. Damit es aber trotzdem durchpasste, wurde die Mauer eben niedrig gehalten und die Säcke konnten darüber schweben.

Die “Römerbrücke” Ponte dei Salti

“Ich will noch ein bisschen Idioten gucken!”

Heutzutage sind die Besucher auch wie die Esel: massenweise latschen sie über die Brücke, die kleinen Parkplätze entlang des Tals hoffnungslos überfüllt. Und: ein Leute springen in die Fluten. Sogar Kinder sind dabei. Ist das hier legal so? Wir nehmen etwas Abstand, aber Nico ist fasziniert. Nicht etwa, dass er das auch machen möchte. Olga erklärt ihm die Situation und dass das ganz und gar nicht ungefährlich ist – idiotisch um es einfach zu sagen. Und dann, als wir gehen wollen sagt er doch glatt: “Mama, ich will noch ein bisschen Idioten gucken”. Zum Glück sagt er es auf Russisch 😉

Im Verzasca-Tal

Abstecher nach Italien

Wusstet Ihr, dass Italien von der Schweiz umgeben ist? Naja, zumindest ein kleines Bisschen: Unweit von Lugano, mitten in der Schweiz, liegt Campione, eine italienische Exklave. Sie ist nur 2,6 Quadratkilometer groß und die Häuser stapeln sich am Berghang. Die schönen Grundstücke reichen bis an das Ufer des Luganer Sees. Ursprünglich war es von einem langobardischen Herrscher dem Kloster Sant’Ambrogio in Mailand vermacht worden. Anschliessend gab es immer wieder ein paar Streitigkeiten, aber sowohl Napoleon Bonaparte wie auch die Verhandlungen des Wiener Kongresses standen dem kleinen Landzipfel eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber der Eidgenossen zu, bis es im 19. Jahrhundert Teil des Königreiches Italien wurde. Mussolini gab der Siedlung noch den Zusatz ” d’Italia”.

Torbogen von Campione, links im Hintergrund Lugano

Erst ab diesem Jahr (2020) ist es Teil der Europäischen Zollunion. Nicht etwa, dass es viel zu exportieren gäbe: der einzige Wirtschaftszweig war ein Casino, dass aber inzwischen pleite ist. Es stammt aus der Zeit des Erste Weltkriegs. Durch die (bisherigen) Steuervergünstigungen oder -freiheiten, hatten sich auch andere Europäer hier angesiedelt, u.a. Prominente wie Mario Adorf. Übrigens: ein Teil Deutschlands ist ebenso von der Schweiz umgeben: Büsingen am Hochrhein, nahe Schaffhausen.

Dahinter und doch daneben

Die Tage vergehen und irgendwann ist der Tag der Abreise gekommen. Unser nächstes Ziel heisst Würzburg. Die Fahrt geht über den San Bernardino. Bevor es durch zahlreiche Tunnel geht, machen wir noch einmal eine kurze Pause. An einem Rastplatz vertreten wir uns die Füße, nehmen die gepflegten Sanitäranlagen in Anspruch und geniessen den Ausblick hinter dem Gebäude.

Ein Kleinbus mit deutschem Kennzeichen kommt an und drei junge Leute steigen aus. Die Männer eilen schnellen Schrittes hinter das WC – und fangen an, an den Zaun zu pinkel. Genau in dem Moment will ich mein Foto machen. Hä? Was? Hab ich was nicht verstanden? Da steht eine saubere kostenlose (!) Toilette und die Jungs pinkeln dahinter?

Auf dem Weg zum San Bernardino

Na das ist ja ne Glanzleistung, hinter die Toilette zu pinkeln! Die steht doch hier!“, rufe den Jungs freundlich zu. Leichtes Gelächter, sie sind gut drauf. Während sie anfangen, Ihre “Geräte” wieder zu verstauen, versuche ich es anders: “Desch isch koa guate Sach, wenn d’Schwietzer Pulizei kommt, dan ziehts Eich die Schwänzli long un machts a Knötli nei!” (Das ist keine gute Sache, wenn die Schweizer Polizei kommt, dann ziehen die Euch den … lang und machen einen Knoten rein) versuche ich es auf gefälschtem Schwizerdütsch. “Ach die sind eh zu klein” antwortet der Eine. Eine so ehrliche Antwort hatte ich nicht erwartet. “Die habens abrr a Pinzettli dabi!” (Die haben auch eine Pinzette dabei) rufe ich amusiert, während die Jungens hektisch werden und schnell wieder abfahren. Was für ein Spaß! Odrrr nööööt…?

Blick von der Festung Marienberg auf den Main und Würzburg

Am Nachmittg kommen wir in Würzburg an. Zwei Nächte campen wir gemeinsam mit Verena, unserer guten Freundin aus Bahrain. Yousha, ihr Sohn ist auch dabei. Nico hat sich schon lange auf ihn gefreut und die beiden verstehen sich sofort wieder prächtig. Wir verbringen wunderbare Stunden, erkunden die schöne Stadt Würzburg decken uns ein: sie hat sich als Aromatherapeutin fortgebildet und beschäftigt sich mit Ölen. Öle sind ja bekannt für heilende Wirkungen auf den Körper.

Eines der Öle, die man auch über einen Diffusor verdampfen lassen kann.

Nico wurde am letzten Tag in Würzburg von einer Wespe direkt ins Gesicht gestochen. Dank des Öles konnten Schmerz und Schwellung schnell in Schach gehalten werden. Da war ich echt beeindruckt! Aber auch auf die Psyche üben die Öle ihre Wirkung aus: Da sie über unseren Riechkolben direkt ins Hirnli gehen, können sie binnen Sekunden Emotionen auslösen und beeinflussen. Wir informieren und versorgen uns für die nächsten Monate. Der Winter wird hart werden und nichts ist besser, als wenn man zu Hause in solchen Zeiten für eine angenehme Athmosphäre sorgen kann…

Wer mehr erfahren möchte kann hier gerne mal reinschauen: Verenas Seite bei Instagram.

https://www.instagram.com/oelsandco/

Der Tag unserer Heimreise ist gekommen, aber so weit ist es jetzt auch wieder nicht. Pünktlich 10 km vor Osnabrück passiert das, was es immer in Osnabrück gibt: es regnet… *

(*Osnabrück gehört zu den regenreichsten Städten Deutschlands)

Tachostand am Ende der Reise. Der Verbrauch lässt sich sehen
Unsere Reiseroute im Überblick (GoogleMaps)

Ein wunderschöner Urlaub in einer anstrengenden Zeit ist zu Ende. Dass Urlaub immer zu kurz ist, versteht sich von selbst, aber vielleicht reicht ja die getankte Wärme und Sonne, um uns die nächsten Monate gut zu überstehen. Bleibt alle gesund!