Von der Kunst sich treu zu bleiben

Teil 3

Und jetzt? Nix mehr mit Unfallchirurgie? Keine Traumatologen-Karriere? Nun ja, wie ich ja bereits eingangs geschrieben hatte, wollte ich das weitere Vorgehen nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf abhängig machen – und natürlich von der Gesundheit. So war die Probezeit auch wirklich eine Probezeit. Kommen wir mal zum Positiven: Das Fach, das “Basteln”, die “Action”, das “Improvisieren”, Medizin zum Anfassen – die Unfallchirurgie ist wirklich eine tolle Sache! Unfallchirurgen sind praktische, lösungsorierte Personen (oder sollten es jedenfalls sein). Das hat mir gefallen und ich hätte es gerne weiter gemacht. Es hat mich begeistert und auch wenn der Druck hoch war, habe ich fast immer Freude gehabt an den praktischen Tätigkeiten.

Ich hatte jedoch nie vor, die Allgemeinmedizin aufzugeben (bei der Zeit, die ich dafür investiert habe, auch nicht besonders clever). Laut Landesärztekammer hätte ich mir das eine oder andere Halbjahr für die Unfallchirurgie auch anrechnen lassen können, sodaß ich nicht die 5 Jahre gebraucht hätte. Soweit die Theorie, welche sich aber an der Realität messen lassen muß.

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Midsommar in Schweden

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Midsommar in Leksand: volle Ränge, leere Bühne. Wann geht’s endlich los?

Es ist zwar schon einen Monat her, aber dennoch will ich ein paar Eindrücke vom schwedischen Sommer und von unserem ersten Mittsommer hier in Schweden mit Euch teilen.

Nachdem wir den ersten Winter mit den kalten dunklen Nächten (und teilweise auch Tagen) endlich hinter uns gebracht hatten, kam im Mai der Frühling mit grossen Schritten. Die Tage wurden länger und länger und die Sonne schien uns ganz anders als in Mitteleuropa auf uns runterzubrezeln. Zwar war es draussen noch recht frisch, aber in der Sonne heizte sich die Wohnung schnell auf 25 Grad und mehr auf. – Die Sonne brennt hier richtig, eher so wie in Bahrain.

Nachts wurde es gar nicht mehr richtig dunkel. Olga erinnerte das an die “weissen Nächte” in St. Petersburg. Tatsächlich konnte man um Mitternacht bei wolkenlosem Himmel draussen Zeitung lesen.

Das Mittsommerfest (schwedisch midsommar) -zwischen dem 20., 21. oder 22 Juni-  beinhaltet festliche Umzüge, Konzerte und allerlei andere Aktivitäten bis tief in die Nacht hinein, mit denen die Sommersonnenwende begangen wird. Anlass ist der Umkehrpunkt der Sonne. Jenseits der Sonnenwende werden die Tage wirder kürzer bis sie zur Wintersonnenwende zum 20./21. Dezember am kürzesten sind. Ursprünglich vorchristlich, später als Hochfest des Johannes des Täufers gefeiert, ist es heute auch durch die Möglichkeit des kollektiven Besäufnis bekannt und beliebt. Vielleicht haben besonders “pfiffige” Schweden die Verehrung “Johannes des Säufers” daraus gemacht? Eine Rechtfertigung für ausufernden C2H6O-Konsum findet sich schliesslich immer, auch bei den sonst so unterkühlten Schweden.

 

Der lange Weg zum Alk

Die Schweden freuen sich schon Monate vorher und planen das Wochenende um Midsommar ähnlich wie Weihnachten. Mit Festen, so etwas wie Maibaum aufstellen, drumherumhampeln und anschliessend im Kreise der Familie den Abend ausklingen lassen – oder halt mit dem Fläschchen.

Apropo Fläschchen: Wenn es um Alkohol geht, sind die Schweden immer noch etwas eigen. Bier heisst hier “Öl” und “Olja” ist das schwedische Wort für Öl. Das kann schon einmal der erste Stolperstein auf dem Weg zum kühlen Blonden sein. Es gibt unterschiedliche Sorten, auch wenn die Auswahl sicherlich nicht so gross ist wie in Deutschland. Vor allem ist die Unterscheidung zwischen “lättöl” (“leichtes” Bier mit max. 2,25 Vol%) und “starköl” (mehr als 3,5 Vol%) wichtig für den durstigen Schluckspecht.

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Systembolaget – Staatliches Alkoholgeschäft

 

Während es Lättöl meistens problemlos im Supermarkt gibt, müssen sich Kunden für “stärkere Öle” und Wein, Schnäpse usw. an das “Systembolaget” wenden. Das ist ein staatliches Unternehmen, das in Alkoholangelegenheiten das Monopol in Schweden hat. Nur hier kann man Getränke mit mehr als 3,5 Vol% erstehen. Es herrschen trotz neuerer Lockerungen (Selbstbedienung im Systembolaget wurde seit 1991 schrittweise eingeführt!) noch immer strenge Gesetze. So ist der Verkauf von Sixpäcks verboten, Rabattangebote gibt es nicht und entsprechend des “Gleichberechtigungsfimmels” (dazu später einmal) ist es z.B. verboten nur Teile des Sortiments gekühlt zu verkaufen, weil die wärmeren ja dann vielleicht weniger gekauft würden usw.

Ursprünglich zur Kontrolle des Alkoholkonsums der Bevölkerung gedacht, ist angesichts der in Skandinavien vorhandenen “Alkoholister” (Alkoholiker) nur noch ein kommerzieller Staatsbetrieb übrig geblieben, der jedoch den Alkoholkonsum nicht wirkugsvoll eingrenzen konnte.Trotz seines Monopols kann er nur einen Marktanteil von etwa 30% für sich beanspruchen. Angesichts der horrenden Preise ist “hembränt” (also selbstgebrannter Schnaps) mit Schwarzmarkt und Importware sehr populär. Seit 2007 hat das staatliche Unternehmen keine vorherrschende Position gegenüber selbstimportierter Ware mehr. Bis dahin mussten auch Alkoholbestellunge aus dem Ausland über das Systembolaget gordert werden.

 

“Das is ja wie im Osten hier!”

Wir entschieden uns dazu nach Leksand zu fahren, etwa 50 km von Falun entfernt. Der etwa 6000 Einwohner zählende Ort liegt an einer Bucht, die sich zum Siljansee öffnet, der in den Fluss Österdälälven abfliesst. Von hier aus kann man sicherlich herrliche Rentnerfahrten über den gesamten Siljansee unternehmen, u.a. nach Rättvik und Mora.

 

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Leksand, Österälvdalen mit Blick Richtung Siljan

Mein Kollege Bert und seine Fraui Ingrid hatten uns vorgeschlagen, dass wir uns mit Ihnen und zwei von Ingrids Spachkurskollegen (Ingrid hatte den Kurs nach uns belegt) dort treffen. Auf einer Wiese sollte es gegen 19.30 mit Musik, Tanz und Präsentation losgehen. Im herrlichen Sonnenschein trafen wir uns auf der Festwiese, die zentral eine Vertiefung hatte. Es war so wie ein natürliches Amphitheater:  Auf den Hängen der Wiese die Zuschauen, unten in der Senke eine kleine Bühne. Oben auf den Wägen rundherum ein paar Buden mit Nahrung. Da ich auch gleich bei Ankuft Hunger verspürte, entschied ich mich, für eine “Wurst im Brötchen”. Was ich allerdings bekam war eher ein “Würstchen im Töstchen”. Wieder einmal typisch für Schweden. Die Wurst so gross wie mein kleiner Finger (und meine Hände sind wirklich nicht gross!), rundherum etwas Pappe. “Is ja wie im Osten” dachte ich mir. Eine Auswahl gab es sowieso nicht. Die anderen Stände hatten nur Zuckerwatte und sonstigen Müll. “3,50 Euro dann bitte!” Dieses fleischfarbene Konglomerat schmeckte dann erwartungsgemäß nach Nichts, aber der Magen hatte etwas zu tun. Typisch Schwedisch: keine Auswahl, teuer. Das ist etwas, was wir inzwischen lernen mussten. Aber ein Wurststand für erwartete 40.000 Leute???

Egal, wir setzten uns zu Ingrid und Bert und zu den anderen drei. Allesamt Ärzte aus Berlin, ein Ehepaar, eine einzelne Ärztin. Jung, dynamisch, schwanger. Zumindest die eine. Nun hätte man ja meinen können, dass man sich etwas zu erzählen hatte wenn man aus der gleichen Stadt kommt usw., aber nach ein paar Sätzen verebbte das Gespräch und ich war wieder in Gesellschaft solch (anscheinend) typisch deutscher Ärzte. (Das es solche auch in schwedischer Ausführung gibt, dazu irgendwann mal später).

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Nico unterm Sonnenschirm

Die Zeit verging, unser Osterhase vergnügte sich in der Sonne bzw. eher unterm Regenschirm. Wann geht’s hier endlich los??? Der Zeit verging, die Massen strömten hinzu, aber nichts passierte! Zwischendurch mal ein Ständchen, aber das war’s. Langsam wurde der Hase unruhig und als dann plötzlich die Kapelle und eine bunte Masse mit traditionellem Fummel Einzug hielt, schrie er wie am Spieß!!! Kritik oder Beteiligung an den Feierlichkeiten? Der Hunger war es dann eher. Wir kämpften uns  gegen den Strom der trällernden Menge mit einem schreienden Baby. Ganz toll! Wir kamen uns wie Rabeneltern vor.  Am Auto war er dann wieder eingeschlafen. Na super!

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Auch diese Bikes aus Bayern hatten es bis nach Leksand geschafft. Respekt!

Allerdings war ich nicht sooo traurig gewesen, dass wir gehen mussten. Ingrid berichtete mir dann nach dem Wochenende, dass es nicht so berauschend gewesen sein soll und sie nächstes Jahr nicht unbedingt noch einmal hin muss.

Soviel zu unserem ersten schwedischen Midsommar…